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Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2

Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2

Titel: Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R.R. Tolkien
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Veanne auf, klatschte in ihre Hände und rief: »Ich werde dir die Geschichte von Tinúviel erzählen.«
Die Geschichte von Tinúviel
    Hier folgt nun der Text der Geschichte von Tinúviel, wie er im Manuskript erscheint. Das Verbindungsstück ist nicht eigens gekennzeichnet und von der Geschichte selbst in keiner Form abgetrennt. Veanne beginnt ohne Einleitung.
    »Wer war Tinúviel?«, fragte Eriol. »Weißt du es nicht?«, sagte Ausir. »Tinúviel war die Tochter von Tinwe Linto.« – »Tinwelint«, verbesserte Veanne, doch Ausir sagte: »Das gilt gleich, doch die Elben in diesem Haus, welche die Geschichte lieben, nennen ihn Tinwe Linto, obgleich Vaire gesagt hat, dass er bloß Tinwe mit richtigem Namen hieß, bevor er in die Wälder wanderte.«
    »Sei still, Ausir«, sagte Veanne, »denn es ist meine Geschichte, und ich werde sie Eriol erzählen. Habe ich nicht einst Gwendeling und Tinúviel mit meinen eigenen Augen gesehen, als ich in längst vergangenen Tagen über den Pfad der Träume wanderte?« 1
    »Wie sah die Königin Wendelin aus (denn so nannten sie die Elben) 2 , o Veanne, als du sie gesehen hast?«, fragte Ausir.
    »Schlank und mit sehr dunklem Haar«, sagte Veanne, »und ihre Haut war weiß und matt, doch ihre Augen leuchteten und verrieten Tiefe, und sie war in hauchdünne allerliebste Gewänder gekleidet, doch sie waren schwarz, von Spangen aus schwarzem Jett und einem silbernen Gürtel gehalten. Wann immer sie sang oder tanzte, stahlen sich Träume und Schläfrigkeit in deinen Kopf und machten ihn schwer. Sie war in der Tat eine Fee, die aus Lóriens Gärten entschlüpfte, bevor noch Kôr erbaut wurde, und sie schweifte durch die waldigen Flecken der Welt, und Nachtigallen folgten ihr und umgaben sie oft mit ihrem Gesang. Es war der Gesang dieser Vögel, der die Ohren Tinwelints betörte, Anführer jenes Stammes der Eldar, diespäter die Solosimpi wurden, die Flötenspieler des Küstenlandes, als er mit seinen Gefährten von Palisor hinter dem Pferd Oromes herzog. Ilúvatar hat die Gabe der Musik in die Herzen aller gepflanzt, die zu diesem Stamm gehören – so sagt Vaire, die ihm angehört –, und diese Gabe erblühte später aufs wunderbarste, doch in jenem Augenblick war die Musik der Nachtigallen Gwendelings die allerschönste Musik, die Tinwelint jemals gehört hatte, und so wich er für einen Augenblick bloß, wie er dachte, vom Wege ab, um zwischen den dunklen Bäumen zu forschen, woher diese Musik wohl kommen mochte.
    Und es heißt, dass es nicht nur Augenblicke waren, die er lauschte, sondern viele Jahre, und vergeblich suchte ihn sein Volk, bis es endlich Orome folgte und weit fortgetragen wurde nach Tol Eressea; und so sah er es niemals wieder. Doch nach einer Weile, die ihm kurz erschien, stieß er auf Gwendeling, die auf einem Bett von Blättern lag, zu den Sternen über ihr hinaufschaute und ebenfalls ihren Vögeln lauschte. Nun schritt Tinwelint leise zu ihr, beugte sich über sie und schaute sie an. ›Fürwahr‹, dachte er, ›hier liegt ein Geschöpf, das anmutiger ist als selbst die schönste Frau meines Volkes‹ – denn tatsächlich war Gwendeling keine der Elben und keine Frau, sondern eines der Kinder der Götter; und als er sich tiefer beugte, um eine Flechte ihres Haares zu berühren, zertrat er mit seinem Fuß einen Zweig. Da war Gwendeling mit einem leisen Lachen auf und davon, manchmal in der Ferne singend oder immer vor ihm hertanzend, bis ihn wie eine Ohnmacht ein angenehmer Schlummer überkam, er mit dem Gesicht nach unten zwischen die Bäume sank und lange, lange Zeit schlief.
    Als er nun erwachte, dachte er nicht mehr an sein Volk (und das wäre in der Tat müßig gewesen, denn längst hatte es inzwischen Valinor erreicht), sondern es verlangte ihn nur noch nach dem Geschöpf des Zwielichts; Gwendeling war freilich nichtweit, denn sie war in seiner Nähe geblieben und hatte über ihn gewacht. Wie ihre Geschichte weiterging, weiß ich nicht, o Eriol, außer, dass sie am Ende seine Gemahlin wurde, denn Tinwelint und Gwendeling waren lange Zeit König und Königin der Verschollenen Elben von Artanor oder dem Jenseitsland, wie man hier sagt.
    Lange, lange später brach Melko, wie du weißt, von Valinor wieder in die Welt ein, und alle Eldar machte er sich als Sklaven untertan: jene, die im Dunkel zurückblieben oder auf dem Marsch von Palisor verschollen, und auch jene Noldoli, die ihm auf der Suche nach ihrem geraubten Schatz in die Welt folgten. Doch es wird

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