Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
sein Volk mit den furchtbaren Bannflüchen der Valar, verdammte sie zu Leid und kummervollem Tod; doch Úrin verlieh er so viel Weitsicht, dass er viele der Dinge sehen konnte, die seinem Weib und seinen Kindern zustießen, ohne ihnen helfen zu können, denn ein Zauberbann hielt ihn an jenem hohen Ort fest. ›Siehe!‹, sagte Melko. ›Das Leben deines Sohnes Túrin wird die Quelle vieler Tränen sein, wo immer sich Elben und Menschen versammeln, um Geschichten zu erzählen.‹ Aber Úrin erwiderte: ›Zumindest soll ihn niemand bemitleiden, dass er eine Memme zum Vater hatte.‹
Nun begab sich Mavwin nach der Schlacht weinend in das Land Hithlum oder Dor Lómin, wo alle Menschen nun aufGeheiß Melkos wohnen mussten, einige Unbeugsame ausgenommen, die noch umherschweiften. Dort wurde ihr Nienóri geboren, während Úrin in der Knechtschaft Melkos schmachtete, und weil Túrin noch ein kleiner Junge war, wusste Mavwin in ihrer Not nicht, wie sie ihn und seine Schwester aufziehen sollte, weil alle Männer Úrins im großen Gemetzel ums Leben gekommen waren, und die fremden Menschen, die in der Nähe wohnten, wussten nichts von der hohen Stellung der Frau Mavwin, und alle Lande waren dunkel und wenig freundlich.
Der nächste kurze Textabschnitt wurde später durchgestrichen und durch einen beigefügten Zusatz ersetzt. Die gestrichene Passage lautet:
Um diese Zeit sprach man in Dor Lómin sehr viel von den Taten des Beren Ermabwed, und weil sie keinen besseren Rat wusste, kam es Mavwin in den Sinn, Túrin zum Hof von Tintoglin 1 zu schicken und ihn zu bitten, dieses Waisenkind um Berens willen aufzuziehen und ihn die Weisheit der Feen und der Eldar zu lehren; Egnor 2 nun war mit Mavwin verwandt, und er war der Vater von Beren, dem Einhänder.
Der beigefügte Zusatz lautet:
Verbesserter Text, der sich besser zur Geschichte von Tinúviel und zur nachfolgenden Geschichte vom Nauglafring fügt:
Die Geschichte spricht indessen davon, dass Úrin ein Freund der Elben gewesen war, und darin unterschied er sich von vielen aus seinem Volk. Eine tiefe Freundschaft hatte ihn nun mit Egnor verbunden, dem Elb aus dem Grünwald und Jäger der Gnomen, und er kannte Beren Ermabwed, Sohn Egnors, und hatte ihm einst für seinen Sohn Damrod einen Dienst erwiesen; doch in Dor Lómin erinnerte man sich noch der Taten von Beren dem Einhänder, in den Hallen von Tinwelint 3 . Darum und weil sie keinen anderen Rat wusste, kam es Mavwin in den Sinn, Túrin, ihren Sohn, zum Hof von Tinwelint zu schicken und ihn zu bitten, dieses Waisenkind zur Erinnerung an Úrin und an Beren, den Sohn Egnors 4 , aufzuziehen.
Wahrlich, bitter war diese Trennung, und Túrin weinte lange und wollte seine Mutter nicht verlassen, und das war das erste der vielen Leiden, die ihm in seinem Leben beschieden waren. Doch als seine Mutter ihm gut zugeredet hatte, fügte er sich endlich und bereitete sich voller Schmerz auf diese Reise vor. Zwei alte Männer, die einst Gefährten seines Vaters Úrin gewesen waren, gingen mit ihm, und als alles bereit war und sie Abschied genommen hatten, machten sie sich auf den Weg zu den dunklen Bergen, und Mavwins kleines Haus in den Bäumen blieb zurück, so dass Túrin, blind von Tränen, sie nicht mehr sehen konnte. Doch bevor sie außer Hörweite waren, rief er aus: ›O Mavwin, meine Mutter, ich werde bald zu dir zurückkehren‹ – doch er wusste nicht, dass das Verhängnis Melkos zwischen ihnen lag.
Lang und sehr mühselig und unsicher war der Weg über die dunklen Berge von Hithlum in die Großen Wälder des Jenseitslandes, wo in jenen Tagen Tinwelint, der verborgene König, seinen Sitz hatte; und Túrin, Sohn von Úrin 5 , war der erste der Menschen, der ihn beschritt, und seitdem haben ihn nur wenige betreten. Túrin und seine Hüter gerieten in Gefahren, denn es gab dort Wölfe und wandernde Orks, die zu dieser Zeit selbst hierher kamen, als Melkos Macht wuchs und sich über die Königreiche des Nordens ausbreitete. Böse Zauber umgaben sie, so dass sie oft ihren Weg verloren und viele Tage hilflos umherzogen, doch am Ende kamen sie durch unddankten den Valar dafür – doch vielleicht war es bloß ein Teil des Verhängnisses, mit dem Melko ihre Pfade umwob, denn in späteren Tagen wünschte sich Túrin oft, er wäre als Kind in den dunklen Wäldern ums Leben gekommen.
Wie dem auch sei, auf diese Weise gelangten sie zu Tinwelints Hallen: Als sie sich nämlich in den Wäldern jenseits des Gebirges völlig verirrt und
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