Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
Nachrichten von seiner Mutter, so dass er wusste, dass seine Schwester Nienóri zu einem schlanken und sehr schönen Mädchen herangewachsen war, dass die Dinge in Hithlum sich gebessert hatten und seine Mutter friedlicher lebte; und dann gab es überhaupt keine Nachrichten mehr, und die Jahre vergingen.
Um seinen Kummer und die Stürme des Herzens zu besänftigen, die ihn immer daran erinnerten, wie Úrin und sein Volk in der Schlacht gegen Melko zugrunde gegangen waren, streifte Túrin fortwährend mit den kriegerischsten Männern aus Tinwelints Volk weit umher, und lange bevor er ein Mann geworden war, schlug und empfing er Wunden in Gefechten mit den Orks, die unablässig an den Grenzen des Reiches auf Raub ausgingen und eine Bedrohung für die Elben waren. Fürwahr,dieses Volk hätte ohne seine Tapferkeit viel Schlimmes erdulden müssen, und viele Jahre hielt er den Zorn Melkos von ihm fern, und nach seiner Zeit wurde es bitter gequält und wäre am Ende in die Sklaverei gestoßen worden, hätten sich nicht solch große und furchtbare Dinge ereignet, dass Melko es vergaß.
Es lebte nun am Hofe Tinwelints ein Elb namens Orgof, und er war, wie die meisten aus dem Volk des Königs, ein Ilkorin, doch auch Gnomenblut floss durch seine Adern. Mütterlicherseits war er dem König nahe verwandt, und er stand in dessen Gunst, da er ein guter Jäger und ein tapferer Elb war, doch hatte er eine ziemlich lose Zunge und war, weil er die Gunst des Königs genoss, sehr anmaßend; doch nichts hatte er so gern wie feine Kleider und Edelsteine und Zierrat aus Gold und Silber, und er war immer aufs prächtigste gekleidet. Túrin nun, der sich ständig in den Wäldern aufhielt und an fernen und unwegsamen Orten hauste, wurde nachlässig in seiner Kleidung, ließ sein Haar wild wachsen, und wann immer die beiden an das Königs Tafel saßen, hänselte Orgof ihn deswegen; Túrin jedoch sagte nie ein Wort zu diesen läppischen Scherzen, zumal er ohnehin nur wenig auf Worte achtete, die man ihm sagte, und die Augen unter seinen struppigen Brauen schienen oft in weite Fernen zu blicken – so als sehe er entfernte Dinge und höre Klänge aus den Wäldern, die andere nicht hörten.
Eines Tages saß Túrin mit dem König an der Tafel, und es waren an diesem Tag zwölf Jahre vergangen, seit er durch einen Schleier von Tränen auf Mavwin geblickt hatte, die weinend vor der Tür stand, während er durch die Bäume davonging, bis ihre Stämme ihm die Sicht versperrten, und er war trübsinnig, und jenen, die neben ihm saßen, gab er nur kurz Antwort, vor allem Orgof.
Dieser Tor jedoch wollte ihn nicht in Frieden lassen, lachte über Túrins grobe Kleider und sein struppiges Haar, denn dieser war gerade von einem langen Aufenthalt in den Wäldern zurückgekehrt, und schließlich zog er voll Ziererei einen goldenen Kamm hervor und bot ihn Túrin an; und da er dem Wein kräftig zugesprochen hatte, sagte er, als Túrin sich nicht zu einer Antwort herabließ: ›Nun, falls du nicht weißt, wie man einen Kamm benutzt, eile rasch zu deiner Mutter zurück, denn sie kann es dich vielleicht lehren – es sei denn, die Frauen von Hithlum sind ebenso hässlich und ungekämmt wie ihre Söhne.‹ Da entbrannte in Túrins wundem Herzen plötzlich ein wilder Zorn über diese Worte, welche Frau Mavwin betrafen, so dass er ein schweres goldenes Trinkgefäß ergriff, das zu seiner Rechten stand, und seiner Kraft nicht eingedenk, schleuderte er es mit großer Wucht in Orgofs Zähne und sagte: ›Stopfe dir dein Maul damit, Narr, und schwätze nicht mehr.‹ Doch Orgofs Gesicht war zertrümmert, mit großer Wucht fiel er zurück, schlug mit dem Kopf auf den steinernen Fußboden, riss den Tisch mitsamt dem Geschirr über sich und sprach und schwätzte nicht mehr, denn er war tot.
Da erhoben sich alle Männer ohne ein Wort, doch Túrin starrte entsetzt auf den Leichnam Orgofs und den verschütteten Wein auf seiner Hand, wandte sich jäh um und schritt hinaus in die Nacht; und einige Verwandte Orgofs zogen ihre Waffen halb aus den Scheiden, doch niemand schlug zu, denn der König gab kein Zeichen, sondern starrte unentwegt auf den toten Orgof, und sehr großes Staunen malte sich auf seinem Gesicht. Doch Túrin wusch im Fluss vor dem Tor seine Hand ab, brach in Tränen aus und sagte: ›Wehe! Ein Fluch liegt auf mir, denn alles, was ich tue, wendet sich zum Bösen, und nun hat es sich so gefügt, dass ich aus dem Hause meines Ziehvaters fliehen muss, ein
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