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Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2

Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2

Titel: Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R.R. Tolkien
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wettergegerbtes Gesicht und große, von Fröhlichkeit strahlende blaue Augen, war sehr schlank und zierlich, ohne dass jemand hätte sagen können, ob er fünfzig oder zehntausend Jahre alt war. Dies nun war Ilverin oder Winzigherz. Diese beiden geleiteten ihn über den Gang, dessen Wandteppiche mit Bildern bestickt waren, zu einer mächtigen Treppe aus Eichenholz, und gemeinsam stiegen sie hinauf. In einer großen Windung führte sie empor bis zu einem Flur, erhellt von sanft schwingenden Hängelampen aus farbigem Glas, die hellfarbene Lichtflecken auf den Boden und auf die Wandbehänge warfen.
    In diesem Flur bogen seine Führer unvermittelt um eine Ecke, schritten dann ein paar dunkle Stufen hinunter und stießen vor ihm eine Tür auf. Sie verbeugten sich, wünschten ihm eine angenehme Ruhe, und Winzigherz sprach: »Träume von freundlichen Winden und schönen Fahrten auf den großen Meeren«, und dann ließen sie ihn allein. Er fand sich in einem kleinen Gemach, und dicht am Fenster stand ein Bett von feinstem Linnen und mit schwellenden Kissen – und hier kam ihm die Nacht warm und wohlriechend vor, obgleich er noch eben das wohlige Gefühl verspürt hatte, das von den glühenden Scheiten des Feuers der Geschichten ausgegangen war. Hier waren alle Möbel aus dunklem Holz, und als seine große Kerze flackerte, erfüllte ihr weicher Schein den Raum mit einem Zauberglanz, dass ihm schien, der Schlaf sei die größte aller Freuden und dieses heimelige Gemach der allerbeste Ort dafür. Ehe er sich jedoch niederlegte, öffnete Eriol das Fenster, und der Duft der Blumen zog herein, und draußen gewahrte er undeutlich einen verschatteten Garten voller Bäume, zwischen die der Mond ein Gitter aus Silberlicht und Schattenschwarz legte; sein Fenster aber schien sehr hoch über jenen Rasenflächen zu liegen, und plötzlich begann eine Nachtigall in einem nahen Baum zu singen.
    Dann schlief Eriol, und seine Träume durchzog eine Musik, zarter und reiner als er je zuvor eine vernommen hatte, und sie war erfüllt von Sehnsucht. Wahrlich, es war als ob silberne Pfeifen oder Flöten von allerzierlichster Gestalt kristallene Töne und langgezogene Harmonien im Mondlicht über demRasen verströmten; und Eriol empfand Sehnsucht im Schlaf und wusste doch nicht wonach.
    Er erwachte, als die Sonne aufging, und die Musik war verstummt, ausgenommen die Stimmen unzähliger Vögel vor seinem Fenster. Das Licht fiel durch die Fensterscheiben und zerstob in heiteres Funkeln, und das Gemach mit seinem Duft und seiner freundlichen Ausstattung erschien ihm noch heimeliger als zuvor; doch Eriol erhob sich, kleidete sich in reine Gewänder, die für ihn bereitlagen, damit er seine von der Reise beschmutzten Kleider ablegen konnte, ging hinaus und durchstreifte die Flure des Hauses, bis er zufällig zu einem kleinen Treppengang kam, den er hinabschritt und zu einer Vorhalle und einem sonnigen Hof gelangte. Unter seiner Hand öffnete sich ein Gittertor, und vor ihm lag jener Garten, dessen Rasenflächen sich unter dem Fenster seines Schlafgemachs ausbreiteten. Dort erging er sich, atmete die Morgenluft und sah die Sonne über den fremdartigen Dächern der Stadt aufsteigen, als er unversehens vor sich den alten Türhüter gewahrte, der über einen Pfad zwischen Haselnussbäumen herbeikam. Er sah Eriol nicht, denn wie immer hatte er seinen Kopf zu Boden gesenkt und murmelte geschwind vor sich hin; Eriol jedoch sprach ihn an, wünschte ihm einen guten Morgen, und da fuhr der Türhüter zusammen.
    Dann sagte er: »Vergebung, Herr! Ich gewahrte Euch nicht, denn ich lauschte den Vögeln. Wahrlich, Herr, Ihr trefft mich in verdrießlicher Stimmung, denn seht, ich höre einen über die Maßen frechen Schlingel mit schwarzen Flügeln, der Lieder singt, die mir unbekannt sind und dies in einer fremden Sprache! Das kränkt mich, Herr, kränkt mich sehr, denn ich glaubte gewiss, zumindest die einfachen Sprachen aller Vögel zu kennen. Ich habe nicht übel Lust, ihn wegen seiner Keckheit zu Mandos zu schicken!« Als Eriol herzlich darüber lachte, sagteder Türhüter: »Nein, Herr, möge ihm stattdessen Tevildo, der Herr der Katzen, sein Nest ausrauben, weil er es gewagt hat, in einen Garten einzudringen, der unter der Obhut Rúmils steht. Ihr müsst wissen, dass die Noldoli erstaunlich langsam altern, und ich habe gleichwohl über dem Studium all der Sprachen der Valar und Eldar graue Haare bekommen. Lange vor dem Fall von Gondolin, lieber Herr, habe ich mir

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