Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
schmalen Arm, und Melko und seine Schar, welche die Kälte ertragen konnten, hätten also ohne die Hilfe von Schiffen sicher in die Welt gelangen können; doch dies geschah nicht, und die traurige Geschichte nahm ihren vorbestimmten Lauf. Im anderen Falle hätten die Zwei Bäume weiterhin geleuchtet, und in Valinor würden die Elben immer noch singen.
Schließlich ist der lange Tag des Festes vorüber, und auf der weißen Straße machen sich die Götter auf den Heimweg von Kôr nach Valmar. Die Lichter flimmern in der Stadt der Elben, und Frieden wohnt dort, die Noldoli jedoch ziehen betrübt über die Ebene nach Sirnúmen. Silpion erstrahlt zu dieser Stunde, und bevor sein Licht verblasst, erhebt sich zum ersten Mal in Valinor aus jenem felsigen Tal eine Totenklage, denn Feanor beweint Bruithwirs Tod; und viele Gnomen außer ihm entdecken, dass die Geister ihrer Toten den Weg zu den Hallen von Vê angetreten haben. Da reiten Boten in aller Eile nach Valmar, um von diesen Taten zu künden, und dort finden sie Manwe, der die Stadt noch nicht verlassen hat, um in sein Heim auf dem Taniquetil zurückzukehren.
›Wehe, o Manwe Súlimo‹, jammern sie, ›Unheil ist durch die Berge Valinors gedrungen und über Sirnúmen in der Ebene hereingebrochen. Dort liegt Bruithwir, der Großvater Feanors, 5 erschlagen, und viele der Noldoli außer ihm, und alle unsere Reichtümer an Gemmen und schönen Dingen sind gestohlen, unser Liebstes, Frucht jahrelanger Mühen und Plagen. Warum, o Manwe, dessen Augen alles sehen? Wer hat diese Untat vollbracht, denn die Noldoli schreien nach Rache, o du höchster Richter!‹
Da sprach Manwe zu ihnen: ›Höret, ihr Kinder der Noldoli, mein Herz ist betrübt über euch, denn das Gift Melkos hat euren Sinn bereits gewandelt, und Begierde ist in eure Herzen eingezogen. Fürwahr! Hättet ihr nicht eure Steine und Kunstwerke 6 für wertvoller gehalten als das Fest des Volkes oder die Gebote Manwes, eures Herrn, wäre dies nicht geschehen, Bruithwir go-Maidros und jene anderen Unglücklichen lebten noch, und eure Juwelen wären in keiner größeren Gefahr. Nein, die Weisheit der Erfahrung lehrt mich, dass wegen des Todes von Bruithwir und seiner Gefährten das allergrößte Unheilüber Götter und Elben kommen wird und über die künftigen Menschen. Ohne die Götter, die euch das Licht brachten, die Rohstoffe gaben für eure Kunst, die euch in eurer ersten Unwissenheit unterrichteten, hätte es niemals ein einziges dieser schönen Dinge, die ihr nun so liebt, gegeben; was einmal getan worden ist, kann aufs Neue getan werden, denn die Macht der Valar ist unwandelbar; doch wertvoller als aller Ruhm Valinors und die Anmut und Schönheit Kôrs sind Frieden und Freude und Weisheit, und diese, sind sie einmal verloren, sind schwerer zurückzugewinnen. Hört also auf zu murren und gegen die Valar zu sprechen oder euch in euren Herzen aufzuschwingen zu ihrer Herrlichkeit; vielmehr entfernt euch nun in Buße und bedenket gründlich, dass Melko euch dies Böse zugefügt hat und dass es euer heimlicher Verkehr mit ihm war, der diese Verluste und Leiden über euch gebracht hat. Darum traut ihm nicht mehr und auch nicht einigen anderen, deren heimlich geflüsterte Worte euch entzweien sollen, denn am Ende stehen Erniedrigung und Verzweiflung.‹
Und die Botschafter waren beschämt und verstört und kehrten ganz niedergeschlagen nach Sirnúmen zurück; gleichwohl war Manwes Herz schwerer als ihre Herzen, denn die Dinge hatten in der Tat einen bösen Lauf genommen, und er sah noch Schlimmeres voraus; und so vollendeten sich die Geschicke der Götter, denn ach, Manwes Worte erschienen den Noldoli kalt und herzlos, und sie erkannten nicht seinen Kummer und seine Milde; und Manwe selbst kamen sie fremd und verändert vor, der Begierde zugeneigt und nach Trost verlangend wie Kinder, denen ihre schönen Spielzeuge abhanden gekommen sind.
Melko befindet sich nun in den öden Landen von Arvalin und weiß nicht, wie er entkommen soll, denn die Düsternis ist sehr groß, und er kennt diese Regionen nicht, die sich bis in den äußersten Süden erstrecken. Darum schickte er, sichberufend auf die Unantastbarkeit eines Herolds (auch wenn es ein von Mandos abgefallener Diener war, den Melko verdorben hatte), einen Boten über den Pass nach Valinor, und dort stand dieser vor den Toren von Valmar 7 und erheischte Gehör bei den Göttern; und gefragt, woher er komme, sagte er, der Ainu Melko habe ihn geschickt; Tulkas wollte
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