Das Buch der Zeit Band 2: Die Sieben Münzen
viel weiter: Der Weg dahin ist durch ein abgeschlossenes Gitter versperrt.«
Samuel erfasste mit schnellem Blick das Innere des Tepidariums: Nach oben hin gab es mehrere Öffnungen, die allerdings unmöglich zu erreichen waren, selbst wenn sie Diomedes auf die Schultern gestiegen wären. Ansonsten bot der Raum wenig Nützliches: Amphoren mit Öl, Schaber zur Hautreinigung, zwei verstreute Handtücher, ein Schürhaken, um die Glut zu schüren, ein paar Lampen etwas abseits des Beckens. Keine einzige Fluchtmöglichkeit, sie saßen in der Falle!
»Die Pest soll ihn holen, diesen Corvus!« Diomedes drehte sich zu ihnen um. »Alle Zähne sollen ihm ausfallen und möge er an ihnen ersticken! Meine Tochter ist zu schwach zum Laufen, und meine Frau kann sie nicht tragen. Und das ist alles seine Schuld!«
»Er hat eurer Tochter etwas Böses angetan?«, fragte Lili.
»Sie ist vom Balkon gestürzt. Er hatte sie da hochgeschickt, um dort Blumen aufzuhängen. Sie war noch viel zu jung für solch eine Arbeit! Seitdem tragen ihre Beine sie nicht mehr. Sie wird es niemals aus der Stadt herausschaffen! Und wenn es wahr ist, was du sagst, wenn der Berg Feuer spucken wird . . .«
Er nahm Lilis Hände und beugte sich zu ihr hinunter.
»Du scheinst dir so sicher zu sein, Kleine! Du bist beinahe so alt wie sie. Glaubst du wirklich, dass wir alle sterben werden?«
»Nun ja«, murmelte Lili und löste sich sanft aus seinem Griff, »uns bleibt immer die Hoffnung, nicht wahr? Aber man könnte meinen, der Vesuv sei aufgewacht und . . .«
Ein gewaltiger Stoß ließ die Mauern erzittern und den Boden unter ihren Füßen beben. Sie schwankten einen Moment, während das Gebäude zu ächzen begann und von draußen ein furchtbares Knirschen ertönte, als ob gerade das Nachbargebäude einstürzte.
»Was war das?«, fragte Lili.
»Das kam aus dem Südflügel«, vermutete Diomedes. »Ich hoffe, der große Wasserturm ist nicht gebrochen.«
»Gibt es nicht irgendeinen Fluchtweg?«, drängte Sam.
»Außer dieser Tür, nein. Es sei denn . . .«
Der Heizer trat zwei Meter zur Seite und zeigte auf den Boden.
»Seht ihr, hier sind die Fliesen gesprungen. Mit ein bisschen Glück . . . Bringt mir den Schürhaken.«
Samuel holte den eisernen Stocher von der Feuerstelle.
»Habt Ihr eine Idee?«
»Wenn wir es schaffen, diesen Spalt zu vergrößern . . .«
Er fing an, mit dem Eisenstab rundherum einige zusätzliche Fliesen zu zerschlagen und den Riss zu vergrößern. Draußen prasselte der Regen aus Bimssteinen mit doppelter Härte nieder, und das Licht wurde so schwach, als ob bereits die Dämmerung hereinbrechen wollte.
»Nehmt die Kratzer«, befahl Diomedes, »und helft mir!«
Samuel und Lili machten sich eifrig ans Werk und hackten auf den Unterbau des Fußbodens ein, der aus einer Art körnigem Zement bestand.
»Glaubt Ihr, wir können uns so einen Tunnel graben?«, fragte Sam, nachdem sie eine Viertelstunde stumm vor sich hin gearbeitet hatten.
»So etwas Ähnliches. Der Boden des Tepidariums und des Caldariums ist etwas erhöht angelegt. Er ruht auf kleinen Säulen, durch die die Luft aus der Heizkammer zirkuliert. So hat man in den Bädern immer eine angenehme Temperatur. Wenn wir bis zu den Hohlräumen zwischen den Säulen gelangen könnten . . . Seht nur, da ist schon die Ziegelschicht! Wir haben es fast geschafft!«
Er wies sie an, etwas zurückzutreten, dann schwang er den Schürhaken wie ein Holzfäller, bis er die letzte Schicht durchstoßen hatte. Der aufsteigende warme Dampf mit seinem erdigen Geruch nahm ihnen fast den Atem.
»Ist es nicht gefährlich dort unten?«
»Das Feuer im Heizkessel ist aus, euch kann nicht mehr viel passieren.«
»Euch?«
»Ja, euch. Ihr seid schlank und werdet euch leicht hindurchschlängeln können. Ich bin zu dick, ich würde stecken bleiben. Jetzt aber an die Arbeit, das Loch ist noch längst nicht groß genug.«
Sie brauchten noch weitere zehn Minuten, um die Öffnung so weit zu vergrößern, dass Sam und Lili sich einigermaßen hindurchzwängen konnten.
»Ich gebe euch eine Lampe«, versuchte Diomedes ihnen Mut zu machen. »Und jetzt rein mit euch, beeilt euch!«
»Aber was ist mit dir, Diomedes?«, protestierte Lili.
»Macht euch keine Sorgen, sie werden mich schon wieder rauslassen.«
Er machte einen kläglichen Versuch zu lächeln, doch Samuel und Lili ließen sich davon nicht täuschen. Corvus würde nicht im Traum daran denken, ihn freizulassen.
»Nun geht schon!«, drängte er
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