Das Buch des Wandels
welcher Position der industriellen Maschine wir standen, mit welchen Chancen auf Aufstieg, Verdienst
und »Be-förderung«, das definierte unsere Identität, unsere Hoffnungen und Befürchtungen. Unser Lebensprinzip folgte dem Fetisch der Karriere, weil wir nichts anderes gelernt hatten als das Prinzip der materiellen Steigerung.
Doch das eiserne Korsett bricht von innen und außen auseinander. Die freie Assoziation der Arbeit wird im Internet-Zeitalter nicht nur realistischer, sondern auch notwendiger denn je. Die aus der ubiquitären Verfügbarkeit der Waren hervorgegangene Freiheit, sich nicht mehr um den geringsten Lebenserhalt sorgen zu müssen, führt zu neuen Möglichkeiten für den Einzelnen, die Familie, die Gruppe, das Individuum, die Nachbarschaft. Die Informationstechnologien machen heute für jeden an jedem Ort einen anderen erkennenden Zugang zum Großen Ganzen, zur Welt des Wissens und der Zusammenhänge möglich, wenn er über die nötigsten geistigen Bedingungen dafür verfügt. So entstehen neue Assoziationen des Wissens, des Werdens, der Veränderung.
Heute leben wir nicht mehr in einer Welt der objektiven materiellen Knappheit, sondern in einer Welt prekären Überflusses. Nur die hungrigen Völker der Schwellenländer und die wirklich Armen der Welt brauchen mehr Fernseher, Hemden, Nahrungsmittel, Entertainment-Angebote. Selbst der Hartz-IV-Empfänger ist kein Opfer von bedrohlichem »materiellem Mangel« mehr. Das verändert die Gesetze von Angeboten und Knappheiten, das verändert die Regeln des Spiels. An die Stelle der alten, durch Massenprodukte befriedigten materiellen Bedürfnisse treten nun die Bedürfnisse des humanen Selbst: das Bedürfnis nach Verwirklichung, nach Schönheit, nach Selbstheit und Gerechtigkeit. Hunger und Not sind keine Frage materieller Ressourcen mehr, sondern der Intelligenz, mit der wir unsere sozio-ökonomischen Systeme gestalten und moderieren. Armut ist dort bekämpfbar, wo wir hartnäckig Menschen helfen, sich selbst zu helfen.
Wer Arbeit nahm und wer Arbeit gab, das war in der Industriegesellschaft ganz und gar vom Geld, vom Kapital abhängig. Aber wer gibt in der Ökonomie der Talente die »Arbeit«? Derjenige, der
die Ideen entwickelt, die Konzepte vorantreibt! Der seinen Geist als Instrument für die Erzeugung von Unterschieden verwendet!
Welche Kraft ist es, die diese Welt, die Welt nach dem Industrialismus vorantreibt? Es ist die menschliche Schöpferkraft selbst, die Macht des menschlichen Geistes.
Die Industriellen haben die Welt beherrscht und unter sich aufgeteilt. Die Kreativität wird die Macht in tausend bunte Fraktale zersplittern …
Für die Prosperität der Zukunft sind Ressourcen der Selbsterneuerung entscheidend. Bildung in einem erweiterten, weltmächtigen Sinne. Gesundheit in einem produktiven, nicht mehr funktionalen (»Abwesenheit von Krankheit«), eingeengten Verständnis. Geistige, mentale, kommunikative Potenzen treten in den Mittelpunkt des »Produktionsprozesses«. Emotionale Prozesse übernehmen das Regiment auch im Bereich der Ökonomie. Das, was in der Maschinenwelt an der Peripherie des Wohlstandsprozesses stand – menschliches Wohlergehen, geistige Kapazität, menschliche Integrität -, rückt nun ins Zentrum aller Wertschöpfung.
Wir sind von einer Gesellschaft der Bauern zu einer Gesellschaft der Fabrikarbeiter und schließlich zu einer Gesellschaft der Wissensarbeiter und Dienstleister geworden. Und nun geht es weiter voran zu einer Gesellschaft der Kreativen, der Muster-Erkenner, der Meinungsmacher, der Empathieproduzenten, der neuen Handwerklichkeit und wiederentdeckten Würde des Produkts.
Die Kreativen verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären offen, dass ihre Zwecke nicht durch Umsturz, Putsch oder Revolution zu verwirklichen sind. Sondern nur durch sorgsame, langsame, bewusste Evolution (sowie durch die allmähliche Einführung der Weiberherrschaft). Wir alle haben nichts zu verlieren als unsere Langeweile, unseren Überdruss und unseren Pessimismus!
Kreative, Glückssuchende, Wandlungsbewusste aller Länder – vereinigt Euch!
10 DIE POLITIK DER ZUKUNFT
Auf der Suche nach einem neuen Zivilisationscode
Wir wollen keine in einem Wahn gefangenen Glückseligkeits-
maschinen sein, sondern bewusste Subjekte, die aus einem Grund
glücklich sind und die deswegen ihre eigene Existenz als etwas
Erstrebenswertes erleben.
Thomas Metzinger
Der Schritt verrät, ob einer schon
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