Das Buch Ohne Gnade: Roman
wenig Lust habe, alleine raufzufahren. Wenn du weißt, was ich meine.«
Elvis schüttelte den Kopf und seufzte. Sanchez’ Feigheit wie auch seine Verlogenheit waren in Santa Mondega Legende. Der King wusste ganz genau, dass sein Freund nicht den Mumm hatte, um alleine zu seinem Zimmer hochzufahren. Aber trotz der charakterlichen Mängel seines Freundes war er immer großzügig gewesen und hatte Elvis über die Jahre in seiner Bar, dem Tapioca, so manchen Gratisdrink spendiert. Natürlich aus guten Gründen.
»Es ist heute auf den Tag zehn Jahre her, dass ich deinen mageren Arsch vor diesen Vampiren in der Kirche gerettet habe, nicht wahr?«, sagte Elvis.
»Ja. Und das habe ich auch nicht vergessen. Aber die Erinnerung an dieses Abenteuer macht mich zu Halloween immer ein wenig nervös. Deshalb habe ich auch diese Reise unternommen. Ich dachte, es wäre nett, Santa Mondega mit all den Untoten und so weiter für einige Zeit hinter sich zu lassen.«
»Dann komm schon«, brummte Elvis und ging hinaus in den Flur. »Lass uns deinen Koffer holen. Du kannst bei mir schlafen, wenn wir für dich kein anderes Zimmer finden.«
»Danke, Mann.« Sanchez, angemessen dankbar, folgte ihm.
Sie erreichten den Fahrstuhl am Ende des Gangs und Elvis drückte auf den grauen Rufknopf in der Wand. Sie mussten nur ein paar Sekunden lang warten, bis die Kabine erschien und diesilberfarbenen Türen aufglitten. Die Kabine sah leer aus und die beiden Männer stiegen ein. Sanchez wandte sich nach links, um auf den Knopf zur siebten Etage zu drücken, und sah sich gleichzeitig mit einem unangenehmen Anblick konfrontiert. In der Ecke unter der Bedienungstafel lag zusammengesunken der Körper eines Farbigen Mitte zwanzig.
»Gütiger Himmel!«, kreischte Sanchez wie ein Mädchen und machte einen erschrockenen Satz rückwärts.
»In welcher Etage ist dein Zimmer, Sanchez?«, fragte Elvis seelenruhig. Er hatte die Leiche ebenfalls gesehen, reagierte jedoch weitaus gelassener als sein Freund.
»Scheiße! Scheiße, Mann! Sieh doch, das ist …«
»Auf welcher Scheißetage?«
»Sieben.«
Den Toten ignorierend, streckte Elvis die Hand aus, um auf den Knopf für die siebte Etage zu drücken. Während sich die Türen schlossen und der Lift hochzufahren begann, gewann Sanchez ein wenig von seiner Fassung zurück. Vor ihm lag ein toter Schwarzer. Er hatte schon viele Tote gesehen, die meisten davon in seiner Bar, aber der Anblick einer Leiche in einem Fahrstuhl versetzte ihm einen Schock, als hätte sich vor seiner Nase eine Spinne abgeseilt, nachdem er die Schlafzimmerbeleuchtung eingeschaltet hatte.
Tief Luft holend und nicht auf sein wild pochendes Herz achtend, betrachtete er den Toten, der halb sitzend an der Fahrstuhlwand lehnte, eingehender. Der Typ trug einen glänzenden schwarzen Anzug mit einem roten Oberhemd darunter.
»O mein Gott! Das ist Otis Redding!«
»Mach keinen Scheiß.« Elvis klang völlig unbeeindruckt, aber Sanchez redete aufgeregt weiter: »Dieser Claude Balls muss ihn getötet haben.«
»Oder er hat jemand anderen bezahlt, es zu tun.«
»Jesus.« Sanchez schüttelte sich angewidert und beugte sich vor, um bessere Sicht auf den Toten zu haben. »Ich vermute,sein Hals ist gebrochen.« Er sog schnüffelnd die Luft ein. »Es riecht, als hätte er mitten aufs ›Dock of the Bay‹ geschissen.«
»Das ist nicht lustig. Mann. Genau genommen ergibt das noch nicht mal irgendeinen Sinn.«
»Das kam ein wenig hastig raus. Mir ist auf die Schnelle nichts Besseres eingefallen.«
Elvis schüttelte den Kopf. »Weißt du, im Augenblick ist nicht der richtige Zeitpunkt für geistreiche Witze. Wenn wir zu deinem Zimmer kommen, wäre es sicher klug, einfach daran vorbeizugehen. Durchaus möglich, dass dieser Balls schon drin ist. Am besten tust du ab jetzt nur noch, was ich sage.« Elvis bewies unter den gegebenen Umständen einen beeindruckend klaren Kopf. »Und falls irgendjemand versuchen sollte, diesen Fahrstuhl zu betreten, müssen wir ihn daran hindern.«
»Wegen des Geruchs?«
»Nein, du Arschloch. Weil wenn jemand uns hier mit dieser Leiche sieht, dürften wir die Hauptverdächtigen für diesen Mord sein.«
»Oh Scheiße. So ein Mistkerl.«
Ein leises »Ping!« ertönte, als der Fahrstuhl den siebten Stock ereichte. Die Türen glitten auf. Sanchez entdeckte sofort vier bewaffnete Sicherheitswachmänner in schwarzen Anzügen und mit militärisch kurzen Haarschnitten am Ende des Gangs. Sie standen vor seinem Zimmer. Und
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