Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
der Wesir sie erneut bedroht, weil sie mir alles offenbar t h atte. Vielleicht hat sie die Entscheidung auch ganz für sich allein getroffen.
    Als die Frau mir das Mädchen brachte, meine Libuse, da war Nive schon mehrere Wochen tot. Niemand hatte es mir gesagt. Man hatte warten wollen, ob das Kind überlebte, und nun, da es kräftig genug war, sollte ich die Wahrheit erfahren. Der Urteilsspruch blieb bestehen, und man erwartete von mir, dass ich ging und mitnahm, was von meiner Familie übrig war.
    In jenen Augenblicken wurde ich ein anderer. Die Trauer um Nive brachte mich fast um den Verstand. Ich wollte sterben und wollte es doch nicht, denn nun war da dieses kleine Bündel Mensch, das mich mit seinen grünen Augen ansah und lächelte, als sei nichts geschehen. « Er räusperte sich, so belegt war jetzt seine Stimme. » Ich nahm Libuse und ging. Der Kalif gab mir eine Eskorte mit auf den Weg und auch die Amme, die mir meine Tochter gebracht hatte, und die ihr Milch geben konnte, solange es nötig war. Mehr konnte er nicht tun. Viele zu Hofe gierten nach seinem Thron und warteten nur auf einen Anlass, um ihn zu stürzen, allen voran der Wesir. Auch ihn sah ich nie wieder, und mein Hass auf ihn wurde mit den Jahren zu etwas Fremdem, weit Entferntem, während ich mit Libuse zurück in die Heimat reiste und sie und mich vor der Welt in den Wäldern verbarg … « Er atmete tief durch, beinahe erleichtert. » Den Rest der Geschichte kennt ihr. «
    Libuse sprang auf und umarmte ihn, weinte leise an seiner Schulter und kümmerte sich nicht um die anderen Tavernengäste, die jetzt alle zu uns herüberblickten.
    » Sein Name «, flüsterte sie an seiner Schulter. » Wie war der Name des Wesirs? «
    Er zögerte. » Abu Tahir al-Munadi «, sagte er schließlich.
    » Abu Tahir «, wiederholte sie leise und vergrub das Gesicht an seinem Hals. Favolas Lederhandschuh berührte zaghaf t A elvins Finger. Er schenkte ihr einen kurzen Blick und umfasste ihre Hand.
    Corax bewegte die Lippen, und seine Worte waren so leise, dass Aelvin sie mehr erriet als verstand. » Verzeih mir «, sagte der Ritter. » Ich hätte dir das alles viel früher erzählen sollen. «
    Libuse hob den Kopf und küsste seine vernarbten Augenlider.

DIE GEFANGENE
    » I c h bin Abu Tahir al-Munadi «, sagte der Wesir des Kalifen, als Sinaida ihm vorgeführt wurde.
    Sie befanden sich in einem hohen Raum mit Kuppeldecke. Zu beiden Seiten verliefen Säulenarkaden, die Bögen aus weißem und rotem Marmor trugen. Decken und Wände waren mit fein ziseliertem Stuck geschmückt. Wie in den Gängen des Palastes, durch die man Sinaida eskortiert hatte, gab es auch hier keine freie, unverzierte Stelle. Die Araber schienen eine Heidenangst vor leeren Flächen zu haben; kein Wunder in einem Land, das sich über endlose Wüsten erstreckte. Wo keine verschlungenen Blumenmuster oder Ornamente das Gestein zierten, verliefen gemeißelte Spruchbänder mit Zitaten aus dem Koran. Ein Großteil des Marmorfußbodens war mit Teppichen bedeckt. Aus Räucherschalen wölkten angenehme Gerüche empor.
    Der Wesir erwartete sie am Kopfende des Raums, bei dem es sich wohl um eine Art Audienzsaal handeln musste. Er war kein junger Mann mehr, an die fünfzig, schätzte Sinaida, aber trotz der Umstände ihrer Begegnung entdeckte sie keine Wut oder gar Grausamkeit in seinem Blick. Seine grauen Augen musterten sie überaus aufmerksam. Falls er vorhatte, sie töten zu lassen – und damit rechnete sie –, so verriet er es durch kein Zeichen des Zorns, nicht einmal des Unwillens.
    Er trug weiße Gewänder, die über seiner Hüfte mit eine r s chwarzen Schärpe gegürtet waren. Darüber hatte er einen silbernen Schwertgurt gebunden. Sinaida fragte sich, ob die Klinge in der kunstvollen Scheide nur der Zierde diente, oder ob er tatsächlich damit umgehen konnte. Er war groß, doch nicht besonders breitschultrig. In seiner Jugend war er sicher ein drahtiger, geschickter Kämpfer gewesen, und auch heute noch lagen Zähigkeit und Ausdauer in seinem Auftreten. Als Zeichen seines hohen Standes trug er zahlreiche Ringe an seinen sehnigen Fingern, und sehnig war auch sein schmaler Hals. Sein Bart war kurz geschnitten und mit Grau durchwirkt, wenngleich das einstmals volle Schwarz noch immer zu erahnen war. Sein Haar lag unter einem Turban verborgen; die Kopfbedeckung war geschmückt mit silbernen Kettchen und einem türkisfarbenen Edelstein über der Stirn.
    Abu Tahir al-Munadi war zweifellos ein

Weitere Kostenlose Bücher