Das Büro
könnte eine Nachuntersuchung beantragen.“
„Dann müssen wir eine Nachuntersuchung beantragen!“
„Ich werde eine Nachuntersuchung beantragen“, versprach Beerta.
*
Zwei Wochen später, als die Nachricht kam, dass Slofstra bei der Nachuntersuchung für gesund befunden worden war, nahm Beerta Kontakt zu seinem Betreuer beim Sozialamt auf. Der zuständige Beamte kam am nächsten Morgen vorbei, ein müde wirkender Mann mit Amsterdamer Akzent und einer schweren, schwarzen Aktentasche. „Ich verstehe das Problem“, erklärte er, noch bevor Beerta etwas gesagt hatte, und setzte sich. „Sie sind nicht der Erste. Es ist mit diesem Mann jedesmal dasselbe. Er lässt sich nichts sagen. Ich nehme Ihnen das nicht übel.“ Er holte ein Dossier aus der Aktentasche und legte es vor sich auf den kleinen Tisch.
Beerta beobachtete ihn mit einer leichten Ironie, sein Kinn etwas nach oben gereckt.
„Da bleibt mir nichts übrig, als etwas anderes für ihn zu finden“, sagte der Mann.
„Ich werde Ihnen mal etwas erzählen“, sagte Beerta. Er blinzelte nervös und wartete einen Moment, bevor er weitersprach. „Wir stellen den Mann ein.“
„Einstellen?“ Er sah Beerta bestürzt an.
„Wir können ihn sehr gut brauchen“, sagte Beerta. „Für unser Büro hat er genau die richtigen Qualitäten.“
*
„Bist du nie in Deutschland gewesen?“, fragte Beerta ungläubig.
Sie saßen im Zug einander gegenüber, auf dem Weg zum Kongress des Atlas für deutsche Volkskultur, und waren gerade vom deutschen Zoll kontrolliert worden. Maarten hatte sein Erstaunen darüber ausgedrückt, dass die Zöllner noch genauso gekleidet waren und sich genauso verhielten wie im Krieg.
„Nein“, sagte Maarten. „Man geht nicht nach Deutschland. Jedenfalls nicht zum eigenen Vergnügen.“ Er musste etwas lauter sprechen, um sich trotz des Ratterns des Zugs verständlich zu machen.
Beerta spitzte die Lippen und nickte ironisch. „Ich fühle mich nirgends wohler als in Deutschland.“
Maarten lachte. Er blickte auf die vorbeifliegende deutsche Landschaft.
„Deutschland ist für mich in erster Linie das Land Goethes und Heines“, sagte Beerta.
„Und das Stefan Georges und Rilkes“, ergänzte Maarten.
„Woher weißt du das?“, fragte Beerta erstaunt.
„Weil Sie keine Gelegenheit auslassen, es zu betonen.“
„Und das Stefan Georges und Rilkes“, bestätigte Beerta.
„Werden Sie nie an den Krieg erinnert?“
„Doch natürlich, aber in der Bibel steht:
Denn ich werde ihre Ungerechtigkeiten vergeben und ihrer Sünden nicht mehr gedenken.“
Maarten reagierte nicht. Ihm fiel auf, dass die Häuser unmittelbar hinter der Grenze anders waren als in den Niederlanden, massiver, mit kleineren Fenstern und in dunklerem Backstein, ungefähr so wie die Helme der deutschen Soldaten sich von denen der niederländischen unterschieden. „Sogar ihre Häuser sind verdammt deutsch“, bemerkte er.
„Natürlich sind ihre Häuser deutsch“, Beerta warf einen flüchtigen Blick aus dem Fenster des Abteils, „es wäre auch nicht gut, wenn es anders wäre.“
Er vertiefte sich wieder in seine Zeitung. „Liest du noch immer
Het Vrije Volk
?“, fragte er, als er eine Seite umblätterte. Er ließ die Zeitung kurz sinken, um ihn sehen zu können.
„Ja“, sagte Maarten.
Beerta schüttelte den Kopf. „Du musst doch mal die
NRC
abonnieren. Für einen Intellektuellen gehört es sich, die
NRC
zu abonnieren.“
„Ich bin kein Intellektueller. Ich bin Büroangestellter.“
„Manche Büroangestellten sind auch Intellektuelle.“
Der Zug verlangsamte seine Geschwindigkeit und hielt. Oberhausen.Maarten betrachtete die Menschen auf dem Bahnsteig und wunderte sich erneut über die Unterschiede: Frauen mit Männerhüten, manche mit einer Feder, Männer in ärmlichen, phantasielosen Anzügen, mit bleichen Gesichtern. Und vergiss nicht das Trinkgeld für das Zimmermädchen, hatte Wiegel mit einem verschmitzten Lächeln gesagt, als er losgegangen war, um Geld zu holen, denn das kann richtig teuer werden. Er erinnerte sich an die Bemerkung und empfand eine leichte Erregung. „Wie machen Sie das in Deutschland mit den Trinkgeldern?“, fragte er, als der Zug sich wieder in Bewegung setzte.
„Genauso wie in den Niederlanden.“
„Wie machen Sie das denn in den Niederlanden?“
Beerta ließ die Zeitung sinken und sah ihn an. „Wenn ein Herr einen Mann trifft, gibt der Herr dem Mann ein Trinkgeld.“
„Und wie viel gibt so ein Herr
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