Das Büro
hast immer so viel Sitzfleisch.“
Er gab darauf keine Antwort.
Karel kam mit einer weißen Teekanne zurück. „Anton hat dafür einen gestrickten Kannenwärmer“, sagte er grinsend, „noch von seiner Mutter.“ Er stülpte eine beige Haube über die Kanne und stellte sie auf einen Teetisch, auf dem auch weiße Tassen und ein weißer Zuckertopf standen.
„Fährst du noch nach Israel?“, fragte Maarten.
„Woher weißt du das?“ Er setzte sich. „Oh, das weißt du natürlich von Beerta! Ende nächster Woche!“
„Weil sie deine Reise zuerst nicht bezahlen wollten?“
„Ach, das weißt du auch schon?“, sagte Karel vergnügt. „Beerta erzählt aber auch alles weiter! Die Reise wird bezahlt! Und weißt du, worauf ich mich freue? Dass ich das Ganze auch noch mit ein paar Tagen Istanbul verbinden kann! Das ist ein Lebenstraum von mir.“
„Kaffee trinken am Goldenen Horn“, begriff Maarten.
Karel hob seine Hände hoch. „Nein, gerade das geht nicht!“ Sein Ton hatte etwas Schmerzvolles. „Da gibt es nur Kneipen und Huren! Das macht es so traurig! Das haben all diese Hafenstädte! Piräus auch! Obwohl sie doch eine so einzigartige Promenade haben könnten! Wie in Neapel! Kennt ihr Neapel?“ Er sah Nicolien an.
„Nein“, sagte Nicolien.
„Das ist herrlich! Da müßt ihr
anyhow
mal hin! Ein breiterBoulevard! Rundherum beleuchtet! Mit Hotels, Restaurants und dazwischen kleinen Parks und Streichorchestern. So ein Boulevard, um herrlich darauf zu flanieren!“
„Den kriegt Istanbul bestimmt auch noch“, tröstete Maarten. „Wenn der Tourismus das Ganze erst einmal richtig verdorben hat.“
Karel hörte es nicht oder schenkte dem keine Aufmerksamkeit. Er war aufgesprungen und ging zum Teetisch. „Wollt ihr Milch und Zucker?“
„Worüber hältst du deine Vorlesungen in Israel?“, fragte Maarten, als sie ihren Tee hatten.
„Über Recht und Unrecht.“
„Was ist Unrecht?“
„Unrecht?“ – er beugte sich vor und sah Maarten durch seine Brille an, während er nach einer Antwort suchte. „Unrecht ist“, er blickte ihn fest und unverwandt an, „Unrecht ist beispielsweise, was jetzt gerade mit diesem Boudewijn H. passiert! Die Art und Weise, wie der Junge behandelt wird!“ Er regte sich auf. „Stell dir vor, dass du mit sechzehn einen Freund getötet hättest und dann die ganze Welt über dich herfiele! Was soll dieser Junge tun? Und der Einzige, der das versteht, der nobelste, edelste Mensch, den man sich vorstellen kann, ein Mensch mit einem warmen, mitfühlenden Herzen“, er regte sich immer mehr auf, „der es verdammt Scheiße findet, dass so ein Junge von achtzehn Jahren, der sein ganzes Leben noch vor sich hat, einen Mord verübt hat, ausgerechnet so ein Mann wird vom Minister gerügt, weil er diesen Jungen persönlich aus dem Haus, in dem er wohnte, abgeholt hat! Als ob er das nicht auch getan hätte, wenn der Junge in einer Hütte gewohnt hätte!“ Er schwang seine Arme. „Aber nein! Weil der Junge nun einmal zufällig in einem Haus mit achtundvierzig Zimmern wohnt, hätte er es nicht tun dürfen, und jetzt fallen die Journalisten wie die Geier über ihn her, um ihn der Klassenjustiz zu beschuldigen! Klassenjustiz!“ Er lachte höhnisch. „Als ob der Mann sich gedacht hat: Sieh mal an, das ist ein Haus mit achtundvierzig Zimmern, da werde ich mal schön Klassenjustiz üben!“ Er schlug sich vor den Kopf. „Wie kommen sie bloß auf einen solchen Unsinn? Dafür ist der Mann viel zu gutherzig! Weißt du, was ich getan habe,als er seine Rüge bekommen hat?“ Er sah Maarten durchdringend an. „Weißt du, was ich getan habe? Ich bin zu ihm hingegangen und habe ihm einen warmen Händedruck gegeben!“
Das hätte ich nicht besonders angenehm gefunden, wollte Maarten sagen, doch er verkniff es sich. „Mir scheint, dass die Sache doch etwas komplizierter ist“, sagte er. „De Bruin, unser Hausmeister, und Slofstra, unser kleinster Angestellter, sind auch beide noble, edle und gutherzige Menschen, aber trotzdem buckeln sie nach oben und treten nach unten. Oder glaubst du, dass sich de Bruin sagt, wenn er zu Beerta geht: ‚Bei dem werde ich mal schön buckeln‘? Das geschieht mit einem reinen Gewissen, ohne irgendwelche Hintergedanken.“
Karel schmunzelte amüsiert. „Das ist etwas anderes.“
„Außerdem hat er die Polizei die ganze Nacht im Regen nach dem Jungen suchen lassen, obwohl er bei ihm zu Hause saß.“
„Oh, aber das finde ich herrlich!“ Er regte sich
Weitere Kostenlose Bücher