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Das Büro

Das Büro

Titel: Das Büro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.J. Voskuil
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heute?“
    „Nein, es ist nichts passiert.“
    „Warum sagst du dann nichts?“
    „Weil ich nichts zu sagen habe!“, fuhr er sie an. „Was soll ich denn sagen?“
    „Deswegen brauchst du doch nicht ausfallend zu werden!“
    „Ich werde nicht ausfallend.“
    „Klar wirst du ausfallend! Siehst du jetzt, dass doch etwas mit dir los ist?“
    „Nichts ist mit mir los!“, sagte er heftig. „Ich bin müde, und ich denke! Ich darf doch wohl noch denken? Oder ist das jetzt auch nicht mehr erlaubt?“
    „Na hör mal! Fehlt dir was?“, sagte sie entrüstet. „Was habe ich dir getan? Reiz mich bloß nicht!“
    „Ich reiz dich nicht.“
    „Das sieht aber ganz so aus! Du müsstest dich mal sehen! Als ob du mich auffressen willst!“
    Mit einem Ruck stand er auf.
    Sie erschrak. „Was tust du jetzt?“, fragte sie ängstlich.
    „Ein bisschen spazierengehen“, antwortete er knapp.
    „Dafür bist du also nicht zu müde! Zu müde, um mit mir zu reden, aber nicht, um spazierenzugehen!“
    Er griff zu Pfeife und Tabak, ohne ihr eine Antwort zu geben.
    „Dafür bist du also nicht zu müde“, wiederholte sie wütend. Sie stand auf und lief hinter ihm her.
    Er öffnete die Tür und zog sie kräftig hinter sich zu. Er hörte die Klingel. Ohne nachzudenken bog er rechts um die Ecke, in die Egelantiersstraat. Sobald er allein war, verrauchte seine Wut, doch jetzt, wo er schon einmal draußen war, war er zu starrsinnig, umumzukehren. Es war ein warmer Sommerabend. Die Sonne war bereits untergegangen, doch die Laternen waren noch nicht an. Die lange, armselige Straße verlor sich in der Dämmerung. An der Ecke zu einer Seitenstraße saßen ein paar Leute auf Stühlen neben ihrer Tür, und ein Stück weiter spielten Kinder. Es war derselbe Weg, den er morgens zu seiner Arbeit ging, doch am Ende der Straße bog er nach links. Er hörte sich selbst laufen und fühlte sich einsam. Das Leben schien aussichtslos. Man müsste Bauer sein. Mit niemandem etwas zu schaffen haben. Allein auf seinem Land unter freiem Himmel. Bauer! Er dachte kurz an das Gespräch mit Beerta und Hein de Boer, doch er wollte sich nicht daran erinnern. Sobald er daran dachte, spürte er erneut Wut in sich aufsteigen, Wut und Machtlosigkeit. Im Gehen stopfte er seine Pfeife. Er blieb kurz stehen, um sie anzuzünden. „Ich gebe dir zwei Monate, um mit einem Vorschlag zu kommen.“ Das war mehr, als er ertragen konnte, doch zugleich war er sich nicht sicher, dass es nicht auch Angst vor der Verantwortung war, die man ihm zuschob. Vielleicht wusste Beerta es selbst auch nicht. Doch diese Gedanken waren zu vage, um sie weiterzuverfolgen. Gedankenleer lief er am IJ entlang. Die Straßenlaternen gingen an. Die erleuchteten Fähren glitten durch das glatte, schwarze Wasser, auf dem kleine Schiffe mit roten und grünen Lichtern fuhren. Er lief bis zum Ende der De Ruyterkade und dann rechts entlang der Oosterdokskade zurück. In der Biegung klopfte er seine Pfeife auf einem der steinernen Stützpfeiler des Ufergeländers aus. Es war eine krumme Pfeife. Weil er nicht aufpasste, löste sich der Kopf vom Stiel und rutschte, bevor er es verhindern konnte, vom Pfeiler, rollte die Steine am Ufer hinab und fiel ins Wasser. Auch das noch. Er beugte sich über das Geländer und spähte durch das Treibholz, das sich an dieser Stelle angesammelt hatte, doch im Dunkeln war es unmöglich, etwas zu erkennen. Tiefunglücklich setzte er seinen Weg fort, erfüllt von Mitleid mit dem Kopf seiner Pfeife und mit sich selbst.
     
    Zu Hause war es dunkel. Die Vorhänge zwischen dem Vorder- und dem Hinterzimmer waren zugezogen. Nicolien war schon zu Bett gegangen. Als er eintrat, hatte sie ihm den Rücken zugekehrt. Er gingan ihr vorbei zur Küche, putzte die Zähne und zog sich im Dunkeln aus. „Meine Pfeife ist ins IJ gefallen“, sagte er, als er ins Bett kroch.
    Sie lag da, ohne sich zu bewegen, ohne zu reagieren.
    Als er im Bett war, fühlte er sich so traurig, dass er Mühe hatte, seine Tränen zu bezwingen.
    *
    Er träumte, er würde von einem blinden Mann verfolgt. Um dem Mann zu entgehen, flüchtete er durch eine Drehtür in ein Gebäude. In dem Gebäude hing blauer Qualm. Er lief in einen Flur. Niemand war dort. Als er weiterlief, hörte er hinter sich das Ticken des Blindenstocks auf dem Steinboden des Flurs. In der Ferne, oben im Gebäude, wurde gegen eine Tür geklopft. Er begann schneller zu laufen, um dem Ticken des Stockes zu entfliehen, rannte eine Treppe hinauf. Der

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