Das Büro
Raum verlassen hatte. „Das kommt daher, weil er so klein ist. Kleine Menschen haben einen Minderwertigkeitskomplex. Napoleon hatte das auch.“
„Was ist das für ein Vortrag von Goedkoop?“, fragte Maarten.
Beerta sah ihn an. „Wolltest du da auch hin?“
„Nein, ich habe mich nur gefragt, worum es geht.“
„Bei den Vorträgen von Goedkoop geht es immer um dasselbe“, sagte Beerta. „Diesen habe ich jetzt schon dreimal gehört, und jedesmal finde ich ihn aufs Neue f-fesselnd.“
*
„Ach, Herr Koning?“
Maarten blieb stehen und sah sich um. Veerman nahm die Beine in die Hand, als er ihm durch den langen Flur hinterherlief. Er keuchte, als er ihn erreicht hatte. Unvorstellbar, dass dieser Mann seinerzeit ein ziemlich berühmter Marathonläufer gewesen sein sollte. Der magere, fanatische Junge, den Wiegel ihm auf einem Foto gezeigt hatte, ein Junge in einem Hemd mit einer Nummer drauf und einer zu langen kurzen Hose, so wie sie Athleten damals trugen, war in dem dicken, formlosen Körper, in der zu engen, billigen Jacke und mit dem großen, roten und schuppigen Kopf nicht wiederzuerkennen. „Entschuldigen Sie bitte, aber darf ich Sie ein Stück begleiten?“
„Natürlich“, sagte Maarten überrascht. Er hielt ihm die Tür auf.
Veerman entschuldigte sich noch einmal, als er vor ihm nach draußen ging. Er blieb stehen, wartete, bis Maarten die Tür geschlossen hatte, und ging dann neben ihm her über die Hoogstraat. Veerman trug eine alte Einkaufstasche, die er in die andere Hand nahm, als sie gegen Maarten stieß.
„Wohnen Sie auch im Zentrum?“, fragte Maarten. Er suchte fieberhaft nach einem Gesprächsthema.
„Ich wohne in Amsterdam-Süd.“ Er blickte konzentriert in die Ferne.
„Und die Strecke gehen Sie zu Fuß?“
Veerman reagierte nicht darauf. Er war mit seinen Gedanken woanders.
„Und die Strecke gehen Sie zu Fuß?“, wiederholte Maarten, etwas lauter.
Veerman erschrak und blickte kurz zur Seite. „Meist nicht. Oder eigentlich nie“, murmelte er daraufhin. „Ich fahre mit der Straßenbahn.“
„Ich wohne an der Lijnbaansgracht“, erzählte Maarten, um auch seinerseits etwas preiszugeben.
„Ja, oh, aha.“ Es hatte nicht den Anschein, dass es ihn besonders interessierte.
Weil Maarten so rasch nichts einfiel, schwieg er. Schweigend gingen sie nebeneinander durch die Damstraat. Um diese Uhrzeit gab es viele Fußgänger und Radfahrer, die von der Arbeit kamen, und es fuhren ziemlich viele Autos, so dass sie ab und zu getrennt wurden. Erst an der Ecke zum Dam hatten sie wieder etwas Platz, doch weil sie nun ohnehin schon fast bei der Straßenbahnhaltestelle waren, gab sich Maarten keine Mühe mehr, das Gespräch erneut in Gang zu bringen.
„Ach, Herr Koning, was ich Sie fragen wollte“, sagte Veerman plötzlich – sie hatten den Damrak überquert und waren gerade im Begriff, auseinanderzugehen – „können Sie mir vielleicht ein paar hundert Gulden leihen? Ich habe ziemliche finanzielle Probleme im Augenblick.“ Er sah an Maarten vorbei, seinen Blick vermeidend. Die Bitte überrumpelte Maarten. Einen Moment lang wusste er nicht, wie er reagieren sollte, und fühlte sich peinlich berührt. „Nein, die habe ich nicht“, sagte er aufs Geratewohl. „Sonst würde ich nicht arbeiten gehen“, fügte er noch hinzu, als ob das ein überzeugendes Argument wäre.
„Nein, nein, natürlich nicht“, sagte Veerman rasch. „Nehmen Sie es mir nicht übel. Dann werde ich mal. Bis morgen.“ Er drehte sich um und ging hastig zur Straßenbahnhaltestelle, wo gerade die 25einfuhr. Unglücklich, unzufrieden mit sich selbst überquerte Maarten den Dam. Er schämte sich, ein Gefühl, als hätte er Veerman vor dieser Situation schützen müssen und versagt hätte. Ohne sich umzusehen überquerte er den Voorburgwal in Richtung des Postamts. „Welch ein Elend“, murmelte er mechanisch. Er schüttelte den Kopf, als wolle er dieses Elend abschütteln, womit er allerdings nicht so sehr die finanzielle Situation Veermans als vielmehr die Unvollkommenheit menschlicher Kontakte meinte.
*
„Ter Haar hat sich bei der Verwaltung über dich beschwert“, sagte Beerta, als Maarten morgens den Raum betrat. Er stand an seinem Schreibtisch und sah ihn ironisch an.
„Über mich?“, fragte Maarten erstaunt.
„Du hast ihm die Schreibmaschine weggenommen.“ Am Ende des Satzes wippte er kurz auf den Zehen.
„Seine Schreibmaschine weggenommen?“ Die Mitteilung traf ihn hart, und er brauchte
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