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Das Büro

Das Büro

Titel: Das Büro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.J. Voskuil
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Mappe mit Aufzeichnungen aus seiner Tasche und blickte ins Publikum. „Meine Damen und Herren.“ Er sah auf all die fremden alten Menschen und fühlte sich überflüssig. „Ich komme zwar aus Amsterdam, aber meine Eltern kommen aus Zwolle, und das ist schon ein Stück näher, nahe genug, um mich hier zu Hause zu fühlen.“ Er hörte seine Stimme und fühlte sich wie ein Hanswurst. „Mein Großvater war dort Bäcker“, fuhr er in dem Versuch, nicht nur räumlich, sondern auch sozial näher an sein Publikum heranzurücken, fort, ein einfacher Junge aus einfachen Verhältnissen, „und
sein
Großvater hat noch als kleiner Junge gegen Ende der französischen Besatzung die Kosaken durch das Sassenpoort reiten sehen. So nahe ist die Vergangenheit.“ Weil ihn die heraufbeschworene Erinnerung an seinen Urgroßvater und vor allem das „Sassenpoort“ aufwühlte, hatten die letzten Worte mehr Kraft, doch es war nicht zu merken, dass sie Eindruck machten – im Saal blieb es totenstill. „Für diese Vergangenheit interessiert sich unser Büro“, fuhr er fort, hingerissen von seiner eigenen Rhetorik, „nicht die Vergangenheit, die in den Geschichtsbüchern steht, die Vergangenheit von Fürsten, Edelleuten und hohen Magistratsdienern, sondern uns interessiert das, was einfache Leute sahen, taten, dachten und glaubten. Und weil diese Vergangenheit nie aufgeschrieben worden ist, ist der einzige Ort, an dem sie noch fortlebt, Ihre Erinnerung. Es sind die Geschichten, die Sie von Ihrem Vater und Ihrer Mutter gehört haben und die diese wiederum von ihren Vätern und Müttern gehört haben, so wie in meiner Familie die Kosaken bis auf den heutigen Tag durch das Sassenpoort reiten.“
    Er machte eine kurze Pause. Er spürte keinen Kontakt zum Saal, und ihm wurde klar, dass er über die Köpfe hinwegredete. „Und das sind nur die Kosaken“, sagte er, in einem Versuch, sich wieder von dieser allzu persönlichen Vergangenheit zu befreien, auf der Suchenach einer anderen Tonhöhe. „Es gibt Beispiele dafür, dass die Erinnerung der Leute viele Hunderte von Jahren zurückreicht, so wie im Brabanter Peel, wo sich die Menschen von einer Generation zur nächsten erzählten, dass dort ein Mann mit einem Goldhelm begraben läge, bis vor einiger Zeit am angegebenen Ort das Grab eines römischen Zenturio entdeckt wurde, in voller Kriegsausrüstung und mit einem Kupferhelm.“ Der Saal reagierte nicht auf diese phantastische Geschichte. Sie ließen seine Worte gelassen über sich ergehen, während er mühsam weiterlavierte. Dass er an das Wissen appellierte, das die Generationen ihrer Vorfahren in ihnen angehäuft hatten und das mit ihrem Tod verlorenzugehen drohte, schien sie nicht im mindesten anzusprechen. Jedenfalls gab niemand ein Lebenszeichen, während er ein Beispiel nach dem anderen anführte. Sie reagierten nicht einmal, als er auf dem Gebiet der Volksheilkunde gelandet war, auf dem doch das Wissen Dutzender Generationen von Großmüttern und Heilern in Hülle und Fülle vorhanden sein musste. Mit dem Gefühl, einen Sack Mehl mit sich zu schleppen, dachte er schließlich nur noch an den Schlussstrich, und er hatte den Eindruck, dass der Applaus, mit dem seine Schlussworte empfangen wurden, vor allem Erleichterung ausdrückte. Was Geeske de Jong anschließend sagte, um ihm zu danken, entging ihm. Er hörte nur, dass sie fragte, ob es noch Fragen gäbe oder vielleicht sogar jemand selbst etwas erzählen könne. Für einen Moment sah es so aus, als ob dies nicht der Fall wäre, doch gerade als er hoffnungsvoll zur Seite sah, in Erwartung des Zeichens für den Abmarsch, hob ein Mann die Hand.
    „Ja, Herr Zwiers?“, fragte Frau de Jong.
    „Was bedeutet eigentlich der Name Rolde?“, fragte der Mann.
    „Das weiß ich nicht“, antwortete Maarten, in dem Gefühl, durchgefallen zu sein.
    „Denn ich habe wohl mal gehört, dass der sehr alt ist.“
    „Das ist er doch sicher auch, nicht wahr, Herr Koning?“, sagte sie.
    „Ja, das ist er sicher“, sagte Maarten.
    „Sollte es nicht etwas mit den Hünengräbern zu tun haben?“, schlug der Mann vor, „von ‚rollen‘, so wie ‚Ballo‘ von ‚Ball spielen‘?“
    Maarten zögerte. „Das scheint mir nicht wahrscheinlich.“
    „Denn die Steine mussten gerollt werden“, brachte der Mann vor, „die kann man nicht heben.“
    Maarten dachte daran, dass man dann damit auch nicht Ball spielen könnte, doch die Bemerkung behielt er für sich. „Ich werde es mal für Sie

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