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Das Büro

Das Büro

Titel: Das Büro Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.J. Voskuil
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Augen schauen und hätte es nicht sehr viel länger ausgehalten.
    *
    Sobald Maarten das Zimmer betrat, rückte Beerta seinen Stuhl eine Vierteldrehung herum und sah ihn an. „Ich höre.“
    „Was wollen Sie hören?“, fragte Maarten widerstrebend. Er legte sein Brot in die oberste Schublade seines Schreibtisches und setzte sich.
    „Wie war es?“
    „Es war unanständig.“
    „Unanständig?“
    „Gut, dann eben pervers.“
    „Pervers?“
    „Ich habe mich wie ein Leichenfledderer gefühlt. All die Leute, die in ihren Betten und Rollstühlen in einem Saal zusammengetrieben werden, während sie doch wohl Besseres zu tun haben, nur weil wir lieber auf einem Stuhl sitzen als eine Schippe in die Hand zu nehmen, wie sie es ihr Leben lang getan haben. Und das muss dann auch noch als etwas Außergewöhnliches verkauft werden, obwohl es in Wirklichkeit nichts ist.“
    Beerta lauschte schmunzelnd. „Was bist du doch für ein eigenartiger Bursche. Ich mag das.“
    „Ja, natürlich.“ Er lachte, obwohl er es nicht wollte.
    „Und wie viele Fragebogen hast du wieder mitgebracht?“
    „Nicht einen einzigen.“
    „Nicht einen einzigen?“
    „Nein. Und darum ging es auch nicht. Das Einzige, worum es dieser Frau de Jong ging, war, dass ich da eine Kabarettvorstellung auf gehobenem Niveau gegeben habe. Aber es war doch wohl nicht das, was sie erwartet hatte.“
    „Du bist da also ganz umsonst hingefahren?“
    „Völlig umsonst! Vielleicht kriege ich noch einen Fragebogen nachgeschickt, aber sogar das bezweifle ich.“
    „Na ja, wenigstens hast du dich gut amüsiert“, sagte Beerta und schob seinen Stuhl wieder zurück.
    *
    „Setzen Sie sich“, sagte Beerta gemessen.
    Veerman zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor und stellte ihn direkt vor Beerta, so dass sie fast Knie an Knie saßen.
    „Ich habe Sie ein paarmal vergeblich gesucht.“
    „Ich war nicht da.“
    „Das habe ich gemerkt. Aber Sie hätten da sein müssen.“
    Veerman reagierte nicht. Als Maarten sich umdrehte, sah er, dass er seinen Kopf etwas nach vorn geschoben hatte und rot geworden war.
    „Sie wissen, dass wir eine Dreiviertelstunde Mittagspause haben, und nicht anderthalb, wie Sie das gelegentlich machen.“
    Veerman war nun puterrot. Es war beängstigend, zu sehen, wie die Wut sich in seinem Kopf aufstaute. „Und wer sagt das?“, brach es aus ihm hervor.
    „Ich sage das“, sagte Beerta ungerührt.
    „Und was gibt Ihnen das Recht dazu?“
    „Das ist meine Pflicht.“
    „Das ist Ihre Pflicht!“, wiederholte Veerman wütend. „Wissen Sie eigentlich, wer hier vor Ihnen sitzt?“ Er schob seinen Kopf noch weiter nach vorn, so dass seine Nase fast die von Beerta berührte, derjedoch nicht zurückwich. „Vor Ihnen sitzt ein Genie, Herr Beerta! Und Genies tadelt man nicht, wenn sie zu spät kommen.“
    „Da bin ich anderer Meinung, Herr Veerman. Auch Genies müssen pünktlich sein.“
    „Genies haben ihre eigene Zeit!“, rief Veerman wütend.
    Maarten hatte aufgehört zu arbeiten. Er beobachtete die Szene, bereit, zu Hilfe zu eilen, wenn es nötig sein sollte, auch wenn er keine Ahnung hatte, wie er das bewerkstelligen sollte.
    „Denken Sie nur an Kant“, sagte Beerta, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. „Kant war ein Genie, aber auch ein Mann, der die Pünktlichkeit liebte, wie Ihnen zweifellos bekannt sein dürfte.“
    Beertas Ruhe brachte Veerman fast zur Explosion. Er hatte sich von seinem Stuhl erhoben und stand, nach vorn gebeugt, vor Beerta. „Ich habe mit Ihrem Kant nichts zu schaffen!“, schrie er, mit geballten Fäusten. „Ich gehorche meinen eigenen Gesetzen!“
    „Aber hier gelten die Gesetze des Büros“, beharrte Beerta. Er war mit diesem Kopf so dicht vor sich in seiner Haltung erstarrt, und Maarten gewann nun doch den Eindruck, dass es nicht gut ausgehen könnte.
    „Wissen Sie, was Sie sind?“, schnauzte Veerman ihn an. „Sie sind, Sie sind …“ Er suchte nach dem passenden Wort, wich aber etwas zurück, als Beerta sich langsam erhob.
    „Und jetzt gehen Sie besser wieder an die Arbeit“, sagte Beerta ruhig, „bevor Sie beleidigend werden, denn das werden Sie später nur bereuen.“
    „Ein popeliger kleiner Bürokrat“, brach es aus Veerman hervor. „Das sind Sie, Herr Beerta! Ein engstirniger Bürohengst!“
    Beerta stand aufrecht da und sah ihn regungslos an, ohne zu reagieren.
    „Und das werde ich nicht bereuen!“ Er wandte sich ab und verließ den Raum.
    Beerta blieb noch einen Moment stehen.

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