Das Chamäleon-Korps
kam wieder auf die Beine, klappte den verbeulten Metallstuhl auseinander und setzte sich. „Wo ist denn jetzt meine gottverdammte Gitarre schon wieder?“
„Neben deinem rechten Fuß“, riefen einige der Jungen.
„Aha.“ Derblinde Mann trug einen dunklen Anzug und ein gelbes Seidenhemd. Er hatte einen braunen Hut mit breiter Krempe auf dem Kopf und trug eine Drahtgestellbrille mit viereckigen Gläsern. Er lächelte, hob die Gitarre auf, und seine goldenen Fangzähne blitzten, „’n Abend! Der erste Song, den ich euch vorsingen möchte, den habe ich erst heute gemacht. Ihr wißt ja, manchmal, da sitzt man einfach so rum und hat nur vier kahle Wände und einen leeren Magen als Gesellschaft, und die Mieze hat ihre Koffer gepackt und sie durch die Hintertür vom Möbelpacker abholen lassen, und man ist mit allem unzufrieden, was man auch tun mag. Dann hat man den Blues. Ich meine, man sieht alles nur noch Von unten. Wenn man blind ist, sieht man nicht mal das. Wenn man blind ist, dann kann man in der Gosse liegen und merkt es nicht mal.“
„He, Blind John!“ rief Ripper.
„Wer ist denn das? Ist das dieser verrückte Hundesohn Jack the Ripper?“
„He, Blind John, heute abend hast du Gesellschaft. Es ist ein Sängerkollege hier.“
„Ein Schwarzer?“
„Nein, kein Bimbo, aber er wird dir trotzdem gefallen. Tunky Nesper.
Fünfzig junge Gäste schauten erstaunt herum, und ein Dutzend weitere wiederholten den Namen.
„Tja, sieht so aus, als ob der Herr Seinen Leuchtturm auf mich hinableuchten ließe“, sagte Blind John Dove. „Kann das Licht natürlich nicht sehen, aber ich kann mich in seinem Schein wärmen. Hm, ja.“ Er stampfte zweimal mit einem zweifarbigen Schuh auf den Holzboden, und die Lichter gingen aus, und er wurde von einem milchigen Spotlight erfaßt. Er begann mit einem langsamen Blues Song. Die letzten Verse lauteten: „Hatte das Gefühl, daß irgendjemand in meinem Blumenbeet herumgegraben hat. Yeah, daß jemand in meinem Blumenbeet herumgegraben hat. Meine Gänseblümchen rausgerupft und kaputt beiseite geworfen hat. Hau’ besser mit allem ab, was ich noch habe. Yeah, ich hau’ mit allem ab, was ich noch habe. Werd’ mich beeilen, damit ich bald meine Gänseblümchen zurückbekomme.“
„Mächtig nett.“ Der Song war zu Ende, und Jolson stand im Dunkeln auf und packte seine Gitarre. Auf Befehl des Amts für Politische Spionage war Daisy Anne Currier also wieder in die Kanalzone gekommen, nachdem sie das Hotel verlassen hatten. „Sag mal, Blind John, wie wär’s mit einem Schwätzchen?“ rief er in die Dunkelheit hinein. „Würd’ mich gern mit dir unterhalten.“
„Hm, ja, ich auch“, sagte der Blinde. „Komm hoch, dann können wir unsere Köpfe ein bißchen zusammenstecken.“
Jolson schritt langsam durch das dunkle Gewölbe.
18
Blind John Dove trat in den Kanal. „Ist ein ganz schöner Scheiß, blind zu sein“, sagte er, als Jolson ihn wieder aus dem schlammigen, knietiefen Wasser zog. „Hab’ mal ein Lied darübergemacht. Den Ganz-schöner-Scheiß-blind-zu-sein-Blues. Wo ist meine Gitarre hin?“
„Das verdammte Ding ist dir vom Rücken gerutscht und treibt gerade den Kanal entlang.“
„Laß sie treiben, das verdammte Miststück von einer Gitarre.“ Blind John Dove fuchtelte mit seinen großen Händen in der nebligen Nachtluft herum. „Wo ist denn diese Gondel, die wir gerufen haben?“
„Hier vorne, Mr. Dove“, sagte der schnurrbärtige Gondoliere, der im hinteren Teil eines heruntergekommenen Boots stand. „Ich werde weiterreden, dann können Sie sich daran orientieren, bis Sie an Bord sind.“
„Ich glaube, ich falle lieber wieder ins Wasser, ehe ich dir zuhören muß“, sagte Blind John. „Mr. Tunky, hilf mir an Bord dieser gottverdammten
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