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Das Dach kommt spaeter

Das Dach kommt spaeter

Titel: Das Dach kommt spaeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Murat Topal
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brauchte. Diese Sorge stellte sich zwar schnell als unbegründet heraus – vermutlich wäre sie noch nicht einmal durch einen Granateneinschlag aufgewacht –, aber dass ich das Problem meiner Tochter nicht lösen konnte, stresste mich natürlich genauso. Erst nach einer für sie und mich sehr unangenehmen Viertelstunde kam ich auf die Idee, dass die Ursache ihres Unwohlseins diesmal vielleicht eine Etage tiefer lag. Ein tastender Griff an die Rückseite der Windel bestätigte diesen Verdacht. Nie hätte ich geglaubt, dass kindliche Exkremente für einen erwachsenen, durch die Stahlbäder des Lebens gegangenen Mann eine solche Freude sein können. Leider war der nächste Adrenalinstoß nicht weit. Ein kurzer Griff in die Box mit den Feuchttüchern zeigte mir nämlich: leer, aufgebraucht, alle. Verdammt! War Ann-Marie schon derart mit den Nerven runter, dass sie nicht einmal mehr die simpelsten Hausfrauenpflichten erledigen konnte? Ich versuchte, mich zu beruhigen, und dachte nach. Was hätte Rocky in einer solch prekären Situation getan? Wahrscheinlich hätte er verzweifelt nach seiner Mama gerufen und ihren Rat erfleht. Hatte meine Anne mich früher nicht einfach mit Waschlappen und Wasser gesäubert? Vorsichtig legte ich meine Kleine auf den mit lustigen Lillifee-Motiven ausgelegten Wickeltisch und hastete ins Bad. Die Begegnung mit dem ziemlich rauen, feuchten Waschlappen war so ungewohnt für Ayla, dass sie vor Schreck aufhörte zu schreien. Ungewohnt, aber offenbar nicht unangenehm – denn schon bald war sie nicht nur sauber, sondern auch rechtschaffen hungrig und freute sich wieder über das Fläschchen mit der aufgetauten Muttermilch.
    Der aus meinen nächtlichen Aktivitäten resultierende Schlafmangel war für meine ohnehin schon strapaziertenNerven nicht gerade heilsam. Kurzum: Es war nur eine Frage der Zeit, bis es zum Eklat kam. Da Ann-Marie und ich recht kontrollierte Menschen sind, dauerte es eine Weile, bis es tatsächlich so weit war. Nämlich bis zum Geburtstag meiner Mutter.
    Ein Vorteil von Kindern ist ja, dass man nie mehr Geschenke für die Verwandtschaft kaufen muss. »Komm, Levin, mal der Oma doch schnell ein Bild.« Und wenn der Kleine mal keine Lust zum Malen hat, wird schnell ein Foto gemacht, im Drogeriemarkt ausgedruckt und in den Ikea-Rahmen geklemmt. Auch damit macht man der Oma eine Freude. Irgendwann ist allerdings die Aufhängkapazität der Wände ausgereizt, dann wird es problematisch.
    Wir hatten unsere beiden Kleinen diesmal ausnahmsweise bei meiner jüngsten Schwester gelassen, weil sie sich immer so freute, wenn sie Ersatzmama spielen durfte. Es hätte also ein ruhiger Tag für uns werden sollen. Doch schon bei der Ankunft lief alles schief. In seiner manchmal etwas, ich nenne es mal vorsichtig: unbedachten Art begrüßte Baba mich mit den Worten: »Oğlum, wann geht los mit Bau?«
    Er hätte genauso gut auf einen Tränenknopf drücken können. Sofort begann Ann-Marie zu schluchzen und ließ sich minutenlang nicht beruhigen. Mein Vater, der weibliches Leid noch weniger ertragen kann als ich, wendete sich in seiner Hilflosigkeit sofort gegen mich.
    »Murat, was los? Deine Frau weint? Mann muss Frau glücklich machen. Habe ich dich nicht zur Welt gebracht, damit Frau weint!«
    Eigentlich wollte ich klarstellen, dass er mich erstens nicht zur Welt gebracht und zweitens allein seine Frage Ann-Maries Tränenflut verursacht hatte. Aber ich biss mir gerade noch rechtzeitig auf die Zunge. Ein Kommentar dieser Art hätte nur zu der Sorte Familiendrama geführt, mit dem Boulevardblättertagelang Schlagzeilen füllten. Also versuchte ich zu erklären: »Ann-Marie glaubt, dass ich mit der Bauleitung überfordert bin.« Das war Benzin auf die bereits heftig lodernde Gefühlsflamme meines Vaters. Nun explodierte er.
    »Hat sie recht, Junge. Ganze Verwandtschaft sagt das. Musst du eine Architekt nehmen. Bist du kein Alleskönner!«
    »Das sage ich ihm auch dauernd. Aber er denkt ja, er ist unfehlbar und der Rest der Welt hat keine Ahnung«, schniefte Ann-Marie.
    Ich versuchte, die Contenance zu wahren. »Ich hatte extrem viel zu tun und hänge darum ein wenig hinterher. Das heißt noch lange nicht, dass ich überfordert bin.«
    »Murat!« Die Stimme meines Vaters überschlug sich. »Wenn deine Frau weint, SIE ist überfordert. Mann muss Frau glücklich machen.«
    Das hatte er nun definitiv einmal zu oft gesagt. Wer war ich denn, dass alle Welt glaubte, mich belehren zu können?
    »Super!«,

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