Das Doppelgrab in der Provence
Serviette notdürftig um Baltasars Hand.
Matzbach folgte ihm brav. Der Arzt ging ihm schnellen Schrittes voran und führte ihn in seine Praxis. Schweigsam und gründlich reinigte er Baltasars Hand, sprühte etwas auf die Schnitte in der Handfläche und an der Innenseite der Finger und bereitete Zellstoff für einen dünnen Verband vor. Baltasar studierte in der Zwischenzeit aufmerksam die Praxiseinrichtung, entdeckte jedoch nichts Auffälliges.
Der Arzt sah sich die Hand noch einmal an. Bevor er den Verband anlegte, fielen ihm, offenbar erstmals, die verheilten Schnitte auf dem Handrücken und an der Außenseite der Finger auf. Er schüttelte den Kopf. »Machen Sie solche Sachen häufiger, Monsieur?«
Baltasar grinste ihn unverschämt und direkt an. »Selten, Doktor, außer, böse Menschen lauern mir in Les Baux mit einem Messer auf.«
Dabei beobachtete er den Mann scharf. Er war nicht sicher, aber er glaubte zu sehen, wie sich für einen Sekundenbruchteil die Pupillen des Arztes verengten.
Monsieur le docteur
beugte sich über die Hand, zupfte am Verband und murmelte dabei: »Les Baux ... Les Baux ... warten Sie mal, ist das diese finstere Geschichte, die in der Zeitung stand?«
»Ach, haben Sie davon gelesen?«
»Mhm. Ich muß Ihnen aber gestehen, daß ich das für eine Erfindung der Redaktion gehalten hatte. Interessant, es ist also wirklich passiert. Wie war das denn?«
Er setzte sich Matzbach gegenüber auf die Kante seines Schreibtisches und verschränkte die Arme; sein Gesicht war interessiert, aber undurchsichtig.
Baltasar berichtete in groben Zügen von der Nachtvorstellung in Les Baux; ›die gröbsten Tricks‹, dachte er, ›sind vielleicht noch immer die besten.‹ »Na ja«, schloß er, »ich habe mir zwar ein paar Charakteristika der Männer gemerkt, aber da sie maskiert waren. ..«
»Sie scheinen ein gutes Gedächtnis zu haben und gut zu beobachten. Wenn Sie sich in einer solchen Situation und bei Dunkelheit noch irgend etwas merken können.«
»Ach, so gut ist mein Gedächtnis nun auch wieder nicht. Das bißchen, was ich weiß, kann niemandem helfen oder schaden. Ich weiß, daß einer der Männer O-Beine hat, der Kleinste von ihnen, der, dem ich vermutlich die Hand gebrochen habe. Der zweite und der dritte waren schlank und größer.«
Er setzte hinzu: »Und der vierte hinkte ein wenig.«
Wieder das kurze Zucken der Pupillen. »Sie haben recht«, sagte der Arzt, »damit kann wirklich niemand etwas anfangen. Sogar eine Festnahme aller O-beinigen Männer mit gebrochener Hand wäre nicht besonders hilfreich. – Nun ja. Sie sind jedenfalls dort heil herausgekommen, und die neuen Wunden sind verbunden. Ich schlage vor, wir begeben uns zu unserem Dessert.«
Sie standen auf. »Doktor, was schulde ich Ihnen?« sagte Baltasar.
Der Arzt winkte ab. »Vergessen Sie's.«
Nach dem Ende des Mittagessens wanderte Matzbach verdauend und dösig ein wenig im Ort herum. Als er wieder zum Arkadenplatz kam, verließ ein schwarzer Buick die enge Durchfahrt neben dem Gotteshaus und steuerte in den Ort. Baltasar blickte unauffällig in den vorbeigleitenden Schlitten. Neben dem Fahrer saß ein drahtiger Mann, auf dem Rücksitz ein älterer Grandseigneur. Der Wagen verschwand unter den Platanen am Ende des großen Platzes.
»Ei«, sagte Baltasar halblaut, »wo mögen die denn gewesen sein?«
Er kletterte in seine Pallas und fuhr an der Kirche vorbei. Es gab keine eindeutigen Hinweise in Form überfahrener Bäume oder vom Scheibenwischer erschlagener Rehe, aus denen Matzbach hätte ableiten können, daß der Buick über einen der kleinen Karrenwege gekommen war. Die wahrscheinlichste Herkunft des Straßenkreuzers war Demlixhs Landhaus.
Leise pfeifend fuhr Baltasar den Weg entlang. Vor dem Manoir des Phantastikers angekommen, parkte er umständlich und stieg langsam aus. Demlixhs grauhaariger Angestellter erwartete ihn bereits am offenen Eingang.
»Ich bedaure außerordentlich«, sagte er höflich und in seiner originellen Sprachmischung, »aber Sie können heute nicht zu Herrn Demlixh. Bitte rufen Sie doch vorher an!«
Matzbach verzog das Gesicht zu einer Grimasse des Bedauerns. »Schade, sehr schade. Ich wollte ihn wirklich nur einige Minuten stören und ihm ein interessantes Projekt vorschlagen.«
Der Grauhaarige spreizte die Arme ab. »Es tut mir wirklich leid, Herr Matzbach, aber es geht nicht.«
Baltasar zog einen Flunsch. »Ist Herr Demlixh denn nicht da?«
»Er ist anwesend, aber er hat Gäste
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