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Das Doppelgrab in der Provence

Das Doppelgrab in der Provence

Titel: Das Doppelgrab in der Provence Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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käuflicher Natur. Manchmal, Sie verstehen. Und wenn ich mich an Wochenenden in Toulon oder Marseille verwöhnen lasse, rede ich sicherlich nicht von Papyri. Ich glaube nicht, daß die Mädchen sich dafür interessieren.«
    »Könnten Sie sich vorstellen, daß jemand in Ihrer Abwesenheit an Ihre Unterlagen geht und sie kopiert?«
    Corvau zögerte. »Eigentlich bin ich fast immer da«, sagte er, »außer nachts. Aber nachts ist auch keiner meiner Kollegen hier.«
    Baltasar betrachtete das archäologische Chaos des Raums; beiläufig sagte er: »Wenn Sie diesen Fund nun bearbeitet haben, vielleicht tatsächlich Schätze finden, wie stellen Sie sich dann eine Veröffentlichung vor?«
    Corvau brach in einen Katalog von Möglichkeiten aus, zitierte Fachzeitschriften, Publikationen interessierter Laien und internationale Konferenzen. »Natürlich ist die Sache unwichtig, kein Vergleich mit Troja oder den Pyramiden, aber es könnte immerhin helfen, hier rauszukommen.« Er machte eine umfassende Handbewegung.
    Baltasar bedankte sich höflich und verließ die Kellerei der fragmentierten Historie. Vom Parkplatz ging er zurück zum Portal und kramte ein Stück Papier aus seiner Tasche.
    »Ich wollte Monsieur Corvau eine Nachricht hinterlassen«, teilte er dem Pförtner mit. »Hat er einen Wagen draußen, daß ich ihm das Ding an die Scheibe klemmen kann?«
    Der Pförtner zeigte ihm hilfsbereit Corvaus Wagen, einen antiken R 4, der in schätzungsweise siebzehn verschiedenen Farben nach-, über- und nebenlackiert war. Baltasar kritzelte etwas auf den Zettel, klemmte ihn hinter den Scheibenwischer, wartete, bis der Pförtner im Gebäude verschwunden war, nahm den Zettel wieder an sich und stieg in sein Mobil.
    Ariane war nirgends zu finden. Baltasar ließ ihr eine Nachricht am Empfang und stieg nach kurzem Denken wieder in sein Gefährt. »Mittagszeit«, knurrte er dabei, »Essenszeit. Außerdem Zeit, die Offensive zu suchen. Bah. Alle lügen, die Welt ist schlecht, und ich weiß nicht, was es soll.«
    Er steuerte wieder Lacaze an. Im Bistrot servierte man ein
repas ouvrier
, mächtige Sachen für müde Feldarbeiter: kalten Fisch, kaltes Huhn, verschiedene Sorten Gemüse mit einer umwerfenden Knoblauchmayonnaise; vorher Salat und Pâté, hinterher Käse und Kaffee. Matzbach schloß sich den essenden Arbeitern an. Er hockte an einem kleinen Ecktisch, und wie so oft kam ihm der Zufall zu Hilfe. Einige Tische weiter saß ein älterer, grauhaariger Mann. Er trug einen dezenten, aber nicht ganz billigen Anzug, eine bizarr gemusterte Krawatte und Manschettenknöpfe mit Steinen. Baltasar, der Kiesel nicht von Diamanten unterscheiden konnte, vermutete, daß es sich nicht um Kiesel und bei dem stillen Esser nicht um einen Feldarbeiter handelte.
    Der Mann las eine Zeitung, während er langsam und gründlich aß. Baltasar studierte sein Profil, die breite, kurze Nase, die arbeitenden Wangenmuskeln, den mayonnaiseträchtigen Mund, das Kinn, an dem ein Tropfen Rosé hing, den der Mann umständlich mit seiner Serviette abtupfte. Irgend etwas störte Matzbach; das eine Auge, das er sehen konnte, lag tief in einer Höhle unter der vorgewölbten, fast brauenlosen Stirn. Einmal, als der Esser aufblickte und den Kopf wandte, sah Baltasar beide Augen. Sie hatten etwas Fanatisches und gleichzeitig Entrücktes: Basaltseen in der Tiefe eines Kraters, dessen Inaktivität nicht gänzlich überzeugt.
    Der Wirt räumte ab; Matzbach hörte, wie er den Mann fragte: »Und was wünschen Sie als Nachspeise,
Monsieur le docteur
: Käse, Eis, Obst, Gebäck?«
    Baltasar, der gerade mit der rechten, verheilten Hand sein Weinglas zum Mund führte, reagierte augenblicklich. Mit einem kleinen Wehlaut ließ er die Trümmer fallen, die in seiner geballten Faust verblieben waren, und starrte auf die blutenden Schnittwunden. Der Wirt blickte zu ihm herüber, auch der
docteur
sah auf. Der Wirt machte einige schnelle Trippelschritte.
    »Oh, das tut mir sehr leid«, sagte er, offenbar ernsthaft betroffen, »wahrscheinlich hatte das Glas schon einen Sprung. Das blutet aber sehr munter.«
    Der Arzt war aufgestanden; er nahm eine karierte Serviette von einem Nebentisch und trat zu Matzbach.
    »Monsieur, erlauben Sie? Ich bin Arzt.« Er bog Baltasars Finger auseinander und sah sich die Schnitte an. »Hm«, machte er mehrfach. »Es sieht schlimmer aus, als es ist, Monsieur. Es könnten allerdings Splitter in Ihrer Hand sein. Wenn Sie bitte mitkommen wollen ...« Er wickelte die

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