Das Dorf der Katzen
“
„Löwin, bezähme dich!
Die Vereinigung in unserem Vater wird kommen.
Sanftmut löscht den Zorn
und der Zorn erregt die Sanftmut!
Die Einigkeit wird ausgeglichen sein!“
Dann schwieg der Raum wieder und die Stille durchschnitt die Zeit.
ΦΦ ΦΦ
N’gahar war zufrieden. Es hatte lange Jahre gebraucht, um diese acht Männer um sich zu scharen.
Er betrachtete sie wieder einmal mit einer Mischung aus Stolz und herablassendem Hochmut.
So, wie sie da standen, in ihrem schwarzen bodenlangen Roben mit den roten Gürteln, den kahlen Schädeln und den entschlossenen Gesichtern, so waren sie seine Geschöpfe. Er hatte sie, den uralten Weissagungen folgend, gesucht und gefunden. Er hatte sie ausgebildet und Schritt für Schritt mit den Mächten vertraut gemacht, die es zu kennen und zu beherrschen galt.
Er hatte sie zusammengeschweißt zu einer Einheit, zu einer furchterregenden Streitmacht mit noch furchterregenderen Waffen.
Sie gehorchten ihm allein und sie würden für ihn in den Tod gehen.
Sie waren, rein nach ihren Geburtsjahren gesehen, höchst unterschiedlich alt. Einige von ihnen hätten eigentlich gar nicht mehr am Leben sein können oder dürfen, aber ein jeder von ihnen hatte spätestens in seinem fünfunddreißigsten Lebensjahr aufgehört, zu altern. Ein Geschenk der Löwin, weitergegeben von ihm. Er konnte dieses Geschenk aber auch jederzeit wieder nehmen.
Aber noch stand jeder von ihnen in der Blüte seines Lebens und würde dort bleiben, solange es ihm, N’gahar, gefiel.
N’gahar und seine acht Priester weilten in einem der Haupträume der uralten Kultstätte für die Löwin, tief unter dem Boden der nubischen Wüste.
Über Jahrmillionen hinweg hatten hier gigantische unterirdische Flussläufe ein weit verzweigtes Höhlensystem aus Kammern und Gängen geschaffen. Die Flüsse waren in tieferen Erdschichten hinunter versiegt, die Höhlen waren geblieben.
Eine der größten Kammern mit einem fast runden Querschnitt von etwas mehr als fünfundzwanzig Metern Durchmesser und einer gewölbten Decke von knapp fünfzehn Metern Höhe war der Turut-mar: ein riesiger Felsendom natürlichen Ursprungs.
Inmitten des Fußbodens war ein exakt abgezirkelter Kreis aus fein behauenen schwarzen Granitsteinen abgesteckt, die eine etwa hüfthohe Mauer bildeten.
Im Abstand von neunzig Grad waren insgesamt vier Durchbrüche in der Mauer ausgespart, die breit genug waren, zwei Männern gleichzeitig das Hindurchgehen in und aus dem Kreis zu ermöglichen.
Auf den vier Mauerstücken standen jeweils zwei rechteckige Säulen aus grauem Granit, an die acht Meter hoch und so angeordnet, dass das jeweilige Mauerstück, auf dem sie standen, in drei gleiche Segmentbögen unterteilt wurde.
An den oberen freien Enden trug jedes Säulenpaar einen Sturz aus dem gleichen grauen Granit. Je zwei Säulen und ein Sturz bildeten somit eine Einheit in Form eines gigantischen „π“ und stützten die Höhlendecke ab.
An den dem Kreis zugewandten Flächen der Säulen waren Halterungen befestigt, in denen große Öllampen für Licht sorgten. Zusammen mit einer weiteren mehrflammigen Öllampe, die von zwischen den Säulen gespannten Ketten so gehalten wurde, dass sie über dem Kreismittelpunkt schwebte, war es hell genug, um zu erkennen, dass im Inneren des Kreises der Boden mit einem Mosaik aus schwarzen, grauen und gelben Steinen bedeckt war, die ein sinnverwirrendes Muster aus Symbolen und Linien ergaben.
Wer diese Symbole lesen und deuten konnte, vermochte eine Art statisches Planetarium zu erkennen, aus welchem gewisse Sternen- und Planetenkonstellationen aus dem Blickwinkel der Erde zu bestimmten Zeitpunkten vorhergesagt werden konnten.
Es verstand sich aber niemand mehr auf diese uralte Kunst der Sterndeutung anhand dieses Planetariums, das schon seit über zweitausend Jahren hier unter dem Wüstenboden schlummerte - außer N’gahar.
Er hatte gelernt, die Zeichen zu deuten und zu lesen und er hatte seine Schlussfolgerungen gezogen und seine ganz persönlichen Pläne geschmiedet, die sich aus dieser nur alle 1996 Jahre wiederkehrenden Gelegenheit ergaben.
Er stand in der Mitte des Kreises, seine acht Priester oder Gehilfen - je nachdem, aus welchem Blickwinkel man ihre Rolle betrachtete - hatten sich jeweils paarweise in den vier Mauerdurchbrüchen aufgestellt. Jeder von ihnen trug eine Fackel in der Hand.
N’gahar hob seine Arme zu einer allumfassenden Geste und seine markante Stimme hallte durch
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