Das dritte Leben
Volontär bei einer Zeitung. Ist mein erster großer Job, das hier.«
»So«, sagte Renate nur.
»Ja. Bin gleich von der Bundeswehr zur ›Nürnberger Morgenpost‹.«
»Aus Nürnberg sind Sie!« rief Renate überrascht. »Und da kommen Sie so weit hier herunter?«
»Ja – haben Sie denn mein Nummernschild nicht gesehen?«
Renate schüttelte den Kopf.
»Auf so was sollten Sie aber achten, wenn Sie zu einem fremden Mann in den Wagen steigen«, sagte er richtig aufgebracht.
Diesmal wurde Renate rot.
»Schien ein toller Fall«, sagte Hellmut Hallig. »Schien! Aber nix. Essig. Kein Stück. Und ich fahre mit einer Handvoll Nullen nach Hause zurück. Wie die mich in der Redaktion zur Sau machen werden – entschuldigen Sie!«
Renate lächelte.
»Ein Kriegsverbrecher sollte sich hier versteckt halten. Altes Nazischwein. Einer von der Leibstandarte. Mann namens Schmitz. Soll sich als Bauer getarnt haben, all die Jahre lang. Holzeinschlag und so. Ist nichts. Der Schmitz, den ich aufgetan habe, ist ein braver Mann von zweiunddreißig, der damals noch in die Hosen machte … Also ist's Essig mit meiner ersten großen Story.«
Er sah so bekümmert aus, daß Renate unwillkürlich lachen mußte. Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Aber es wird noch viele große Storys in Ihrem Leben geben! Sie fangen doch erst an, Herr Hallig!«
Er stimmte in ihr Lachen ein. »Na klar, recht haben Sie!« Dann: »Aber, ich weiß immer noch nicht, was Sie hier machen, mitten im Winter in so 'nem Kaff! Sie kommen doch auch aus Süddeutschland – aus München?«
»Richtig geraten! Ich komme aus München.« Renate blickte zum Fenster hinaus, wo die Landschaft, weiß und verloren, sich wie ein Alptraum abspulte. »Und ich suche auch jemanden. Auch jemanden, der ein – Verbrechen begangen hat.«
»Was!« Vor lauter Verblüffung trat Hallig auf die Bremse. Der Wagen geriet ins Schlingern. Der junge Mann fing ihn jedoch geschickt ab, fuhr weiter.
»Ja. Ein Verbrechen.«
»Das müssen Sie mir erzählen.«
Renate schüttelte den Kopf. »Es ist nichts für die Zeitung … Es ist – privat, sozusagen.«
»Ein privates Verbrechen?« Seine Stimme klang mehr als skeptisch.
»Vielleicht werde ich es Ihnen später erklären.« Die Worte entschlüpften ihr, ehe sie es verhindern konnte.
Später? Wann denn? Sie ließ sich doch nur von diesem jungen Mann zu dem Bauern Irmens bringen. Sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoß.
Hellmut Hallig schien nichts begriffen zu haben. Er lachte. »Da bin ich aber mal gespannt.«
Ein junger Bursche, dachte Renate erleichtert und verletzt zugleich. Einfach ein dummer junger Kerl.
»Da hinten«, sagte Hellmut Hallig, »da liegt der Hof der Irmens.«
Schwarz wuchs er aus dem weißgrauen Dunst herauf. Ein großer, mächtiger Klotz von einem Gebäude, lange Stallungen, Silos, ein Nebentrakt, ganz modern. »Da drüben, das ist die Pension«, sagte Hallig und wies zu dem modernen Bau hinüber.
Eine Pappelallee führte zum Hof. Gänse watschelten über den Weg.
Renate krampfte die Hände um ihre Tasche. Ihr Herz begann laut und heftig zu schlagen.
In wenigen Minuten, das wußte sie, hatte sie das große Rendezvous mit ihrem Schicksal. In wenigen Minuten vielleicht würde sich ihr ganzes Leben ändern.
Noch konnte sie zurück. Die Worte lagen schon auf ihrer Zunge. Halten Sie. Fahren Sie mich zurück. Aber sie brachte keinen Ton heraus.
»So, da wären wir«, rief Hallig fröhlich. Er hielt an, sprang aus dem Wagen, lief um das Auto herum, half Renate beim Aussteigen.
Sie blickte sich um. Stand im Innenhof, flache Steinplatten, weggefegter Schnee. Peinlich sauber. Drüben die alte braune Haustür, geschnitzt, darüber eingelassen in den Stein die Zahl 1713.
»Da geht's hinein«, sagte Hallig und nahm Renates Koffer auf.
Renate war es, als ginge sie auf das eiserne Gittertor eines Gefängnisses zu. Wenn sich diese Tür hinter mir schließt, dachte sie, gibt es nie mehr ein Zurück.
Jakob Irmens war bestimmt einssechsundachtzig groß und hatte ein Kreuz wie ein Bär. Er hatte auch die gebeugte Haltung eines Bären und dichtes, wuscheliges, graues Haar.
Seine Augen waren blau. Nicht hellblau, nicht dunkelblau, einfach blau. Tief wie die See, deren Luft hier in Friesland schon zu spüren war, kalte Luft des Nordens.
Er mußte weit über sechzig sein, aber er sah aus wie ein Mann, der gerade die Fünfzig erreicht hat.
»Na, guten Tag, Herr Hallig«, sagte Jakob Irmens und öffnete die
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