Das dritte Leben
Tür weit, daß der junge Journalist und das Mädchen eintreten konnten. »Wollte gerade nach dem Vieh sehen.«
Er musterte Renate. Schneller Blick unter buschigen eisgrauen Augenbrauen.
»Ich habe Besuch mitgebracht«, sagte Hellmut Hallig und schob Renate mit der Unbekümmertheit der Jugend vor.
»Guten Tag!« Der Bauer streckte seine Hand aus.
»Ich bin … Sabine Gertner«, sagte Renate.
»So so«, Irmens lächelte. Mund und Augen wurden weich dabei.
»Ja, und ich hatte in Oldenburg beruflich zu tun.«
»So, nun ziehen Sie zuerst mal den Mantel aus und kommen Sie in die Stube«, sagte der Bauer.
Sie durchquerten eine große halbdunkle Diele, in der alte Bauernmöbel standen, aus Kirschholz, glänzend vom Alter, darauf blinkende Kupferkannen; Messingpfannen hingen an der Wand, ein Ölbild, niederländische Schule, dann waren sie im Wohnzimmer. Zwei Flinten an der weißgetünchten Mauer neben dem großen blauen Kachelofen, ein paar Dolche, Speerspitzen, mit Patina überzogen.
»Hab' ich selbst im Moor gefunden«, sagte Irmens, als er Renates Blick bemerkte. »Bronzezeit. Hätte sie eigentlich abgeben müssen.« Er lächelte listig. »Aber das war auf meinem Moor, und was ich in meinem Moor finde, das gehört mir doch, oder nicht?« Er schlug dem jungen Hallig auf die Schulter.
»Setzen Sie sich«, ermunterte er Renate. »Einen Tee werden Sie doch trinken, nicht wahr? – Lisa«, rief er, »Lisa!«
Eine Magd erschien, makellos weiße Schürze, gemustertes Kopftuch, das schweres schwarzes Haar zusammenhielt.
»Mach man Tee für uns drei. Aber diesmal kräftig, ja?«
Lisa verschwand wieder.
»Kommt von drüben«, sagte Irmens, »weiß nicht, wie man richtigen Tee macht.«
Er setzte sich auf die mit grobem, gelbem Stoff überzogenen Kissen, die auf der Ofenbank lagen.
Renate saß mit Hallig am blankgescheuerten Wohnzimmertisch.
Alles gefiel ihr. Dieser Mann, der alte Bauer, sein Haus. Die Einfachheit und das Geschmackvolle.
Aber sie würde ihn verletzen. Sie würde ihn listig hintergehen, wenn es sein mußte.
Der Tee kam. Roter Ostfrieslandtee mit Kandiszucker gesüßt. Sie tranken. Der Tee war heiß und gut.
»So, also in Oldenburg waren Sie«, sagte Irmens. Keine Frage, einfach so gesagt. Keine Neugierde.
Das Moor ist weit und hat viele Geheimnisse. Man redet nicht viel in diesem Land. Man fragt nicht viel. Man erwartet auch wenig Antwort.
»Ja, ich hatte dort beruflich zu tun. Und meine Mutter hatte mir gesagt, wenn ich Zeit fände, sollte ich doch mal bei Ihnen vorbeischauen.«
»Ihre Mutter«, sagte der Bauer und trank langsam von seinem Tee. Seine blauen Augen ruhten auf dem Gesicht Renates. Sie krampfte ihre Hände fest um die Teetasse.
»Ja. Sie hat einmal hier ihre Ferien verbracht. Vor über zwanzig Jahren allerdings.« Renate zwang sich zu einem Lachen. »Da war sie natürlich noch ein Mädchen. Und es war noch vor der Evakuierung. Aber vielleicht erinnern Sie sich doch. Hilde heißt sie. Sie war die Freundin von Alexa.«
In den Augen des alten Mannes leuchtete es auf. »Alexa! Nein, so was!« Forschend dann sein Blick. »Alexa …«, murmelte er. »Komisch, wo Sie den Namen meiner Nichte sagen, ja, Dunnerlütt, da möcht' ich fast meinen, Sie haben eine Ähnlichkeit mit Alexa.«
8
Renate spürte, wie das Blut aus ihren Wangen wich. »Ich soll Grüße ausrichten«, sagte sie schnell. »Können Sie sich an meine Mutter erinnern?«
»An Hilde, natürlich kann ich mich an sie erinnern, ein schmales blondes Ding, steckte immer mit Alexa zusammen. Das ist also Ihre Mutter? Und Sie sollen Grüße ausrichten? Das finde ich aber nett. – Lisa!«
Das Mädchen erschien auf der Schwelle.
»Bring den Steinhäger.«
Die Magd kam mit dem Tonkrug, stellte ihn auf den Tisch, brachte die Gläser.
Irmens schenkte ein. »Na, denn auf das Wohl Ihrer lieben Mutter, der kleinen blonden Hilde!«
Sie tranken.
»Meine Mutter hat nie mehr etwas von Alexa gehört«, sagte Renate. Ihr Herz klopfte in ihren Schläfen.
»Ach nee?« Irmens war richtig erstaunt. »Wo die beiden doch so dicke Freundinnen waren?«
»Sie weiß nicht einmal, wo Alexa jetzt lebt – ob sie überhaupt noch lebt!«
Der alte Bauer begann dröhnend zu lachen. »Und wie sie lebt! Alexa wohnt in Berlin, mit ihrem Mann und den beiden Jungs. Der eine steht vorm Abitur, der andere ist Lehrling bei Siemens. Der Hartmut, der Älteste, ist ein ganz schlauer Kopf! Nur der Kleine, mit dem will es nicht so recht klappen, mit dem
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