Das dritte Leben
Hilfsbereitschaft.«
Berglund sah den Arzt mit einem Blick an, in dem sich deutlich Verachtung und aufkeimender Zorn mischten. »So, sehr interessant«, sagte er knapp.
»Ja – ich glaube, ich muß jetzt gehen«, murmelte Warren und wich Berglunds Augen aus.
Berglund trat zur Seite. »Bitte –«
Warren verbeugte sich und ging schnell. Als seine Schritte verklungen waren, fragte Reinhard ruhig: »Willst du nicht wieder zu deinen Gästen kommen?«
»Ja, natürlich, sofort.«
Im selben Moment entdeckte Berglund die beiden Fotokopien auf dem Schreibsekretär seiner Frau.
Alexa war seinem Blick gefolgt. Sie trat schnell an die offene Schreiblade, klappte sie zu. Ihre Hände zitterten, als sie den Schlüssel abzog.
Berglund drehte sich wortlos um und ging nach draußen. Er preßte die Nägel seiner Finger in die Handflächen.
Am Eingang der Halle erwarteten ihn seine beiden Jungs. Sie trugen ihren ersten Smoking, und beide grinsten ihn an, als er auf sie zutrat.
»Duftes Fest, Paps«, sagte Hartmut.
»Tolle Schau, wirklich, Paps!« erklärte Jakob.
»Macht euch nur lustig! Ihr hättet wohl lieber allein mit eurer Clique gefeiert, oder?«
»So 'n Quatsch«, rief Jakob, »wir haben doch sowieso die halbe Bande nach hier eingeladen!«
Berglund legte die Arme um die Schultern seiner Söhne. Und bei der Berührung der Kinder, die er gezeugt hatte, die Blut von seinem Blut waren, spürte er, wie Vertrauen und Zuversicht in ihn zurückkehrten.
»Auf den Rasen mit euch! Ihr seid doch die Feuerwerker! Und in zehn Minuten ist es Mitternacht!«
»Los, auf den Rasen«, rief Jakob der Meute seiner Freunde zu; und die jungen Leute stürmten nach draußen.
Das Taxi hielt vor dem Haus Kantallee 34, als die ersten Böller knallten und die Neujahrsraketen bunt zischend in den rotdunstigen Himmel stiegen und die Glocken von der nahen St.-Georgs-Kirche Mitternacht schlugen.
»So, da sind wir«, sagte der Fahrer, »und ein schönes neues Jahr wünsche ich dem Herrn!«
»Danke«, sagte Richard, »warten Sie bitte.«
Er ging mit schnellen Schritten über den Plattenpfad zum Haus.
Die Tür stand weit offen. Links von ihm, von Büschen halb verdeckt, veranstalteten die jungen Gäste der Berglunds auf dem Rasen ihren Feuerzauber.
Richard berat die Diele, schritt durch die Seidenportiere, stand dann in der riesigen Wohnhalle mit dem rotflackernden Kamin.
Ein Herr im grauen Smoking stand nachdenklich davor und blickte in die Flamme. Er sah auf, als Richard die Halle betrat, musterte ruhig seinen geöffneten Mantel, den grauen Straßenanzug, den er darunter trug.
»Ja bitte?« Seiner in tausend Prozessen geschulten Stimme war weder Verwunderung noch sonst etwas anzumerken.
»Herr Berglund?«
Der Mann am Kamin nickte.
»Mein Name ist Gertner. Ich möchte zu Ihrer Frau.«
Die Augenbrauen in dem schmalen Gesicht hoben sich.
»Ich suche meine Tochter«, sagte Richard, »und ich glaube, daß Ihre Frau mir am besten Auskunft geben kann.«
»Ach so«, sagte Berglund. Diesmal klang plötzliches Interesse mit, diesmal schwankte die Stimme auch ein wenig, für Richard deutlich vernehmbar.
»Würden Sie mich Ihrer Frau melden?« fragte er.
»Ich glaube, die junge Dame – Ihre Tochter war es wohl – hat vor zehn Minuten das Haus verlassen.«
Und –? Was war geschehen? In den Zügen des Anwalts zeigte sich nichts, gar nichts. Wußte er nichts? Hatte Renate geschwiegen?
»Um so dringender, glaube ich, sollte ich mit Ihrer Frau sprechen.«
»Wie Sie wünschen.« Berglund wies zur Diele. »Wenn Sie ablegen wollen?«
Richard zog den Mantel aus, legte ihn aber nur über den Arm. Berglund ging ihm schweigend voraus.
Alexa hatte sich gleich nach dem Austausch der Neujahrsglückwünsche wieder in ihren Salon zurückgezogen, ein plötzliches Unwohlsein vorschützend. Sie lag auf dem breiten, mit roter Seide bezogenen Sofa, ein schmales weißes Kissen in der Beuge des Nackens, und blickte zur Decke hoch.
War sie gerettet? Würde Renate von ihr ablassen, sie nicht mehr quälen, ihr Geheimnis wahren?
Scham erfüllte sie. Mein Kind. Damals verschenkt. Verstoßen. Und heute verleugnet.
Aber was heißt das – mein Kind? Dieses Mädchen war eine Fremde. Dreiundzwanzig Jahre hatten zwischen Mutter und Tochter eine Kluft aufgetan, die sich auch unter den besten Voraussetzungen kaum hätte überbrücken lassen.
Jetzt konnte sie nur hoffen, daß Reinhard nicht erfahren würde, was damals geschah; nie das Schreckliche begreifen
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