Das dritte Leben
Alexa schüttelte lächelnd den Kopf. »Solch ein hübsches junges Ding wird doch nicht auf eine so dumme Idee kommen.«
Der Mann sah Alexa an. »Wenn Sie mich fragen, eine Erpresserin – oder eine Verrückte!«
Renate trat noch einen Schritt vor. »Gehen Sie!« fuhr sie den Mann an. »Ich habe mit Frau Berglund zu sprechen!«
Der Mann stand auf. »Ich bin Arzt, mein Kind, und ich glaube, Ihnen würde ein Arzt guttun.«
Alexa erhob sich ebenfalls.
»Meinen Sie wirklich, Viktor?« fragte sie sanft.
»Ich bin Doktor Warren«, sagte der Mann, »ich bin Nervenarzt.« Er ging zur Tür, drehte den Schlüssel um.
»Rufen Sie die Klinik an, meine Liebe.«
Alexa griff zum Telefon.
»Sie sollen einen Wagen mit zwei Leuten schicken.«
»Was für eine Klinik?« fragte Renate. »Für wen?« Alexa hob den Hörer ab. Mit einemmal war sie sehr blaß.
»Eine Nervenklinik«, sagte Warren trocken. »Das ist genau der Ort, wo Sie hingehören, mein Kind.«
Renate sah Dr. Warren an, als hätte er den Verstand verloren. Aber in seinem Gesicht las sie nur Entschlossenheit.
»Sie wollen – Sie wollen mich wirklich …« Renate verstummte. Sie schauderte. Sie zog den Pelzkragen ihres Mantels eng um ihren Hals. »Meine Mutter«, flüsterte sie, »meine eigene Mutter will mich in eine Nervenklinik bringen.«
»Frau Berglund ist nicht Ihre Mutter!« Dr. Warrens Worte klangen scharf. »Beenden Sie endlich diese Komödie!«
Renate trat noch einen Schritt auf Alexa zu. »Mutter!« flüsterte sie in einem verzweifelten, leisen und doch durchdringenden Ton, wie ein Kind, das sich nachts ängstigt, wenn es allein ist.
Alexa ließ die Hand mit dem Telefonhörer sinken; ließ ihn auf die Gabel fallen. Das Blut kehrte in ihr Gesicht zurück, in einer jähen Welle.
»Verschwinden Sie doch endlich«, sagte Dr. Warren. »Und lassen Sie sich nur ja nicht einfallen, diese Komödie noch einmal zu wiederholen – oder ich rufe tatsächlich die Klinik an und bringe Sie zur Abkühlung Ihrer überhitzten Phantasie in die geschlossene Abteilung!«
Renate beachtete ihn nicht. Ihre Augen blieben unverwandt an Alexas Gesicht hängen, an dem so schönen und in diesem Moment doch so häßlichen Gesicht.
»Mutter!« Sie flüsterte es noch einmal, versuchte noch einmal, mit diesem Wort eine Brücke zu bauen, versuchte in dieser Sekunde, zu ihr zu finden.
Stumm streckte sie dann ihre Hand aus; es war eine hilflose Geste, die jeden anderen Menschen bis ins tiefste gerührt hätte.
»Schluß jetzt!« Dr. Warren trat zwischen sie und Alexa.
Plötzlich spürte Renate überhaupt nichts mehr, keinen Haß, keine Sehnsucht, keinen Abscheu, kein Glaubenwollen mehr an eine Wende zum Guten.
Sie wandte sich ab. »Bitte, öffnen Sie die Tür«, sagte sie nur.
Warren warf Alexa einen fragenden Blick zu.
Alexa wandte sich stumm ab. Stand am Fenster, den Kopf zur Seite geneigt, die Arme hingen herunter; kraftlos auch sie. Schritte erklangen auf dem Flur. Dr. Warren schloß die Tür auf.
»Alexa!« rief jemand.
Es war Reinhards Stimme. Alexa zuckte zusammen. Sie fuhr herum. »Mein Mann … Bitte, sagen Sie nichts … Bitte …« Ihre Augen bettelten Renate an. »Verschonen Sie ihn.«
»Nein, ich werde nichts sagen.« In Renates Stimme schwang alle Verachtung, deren ein Mensch fähig sein kann. Sie öffnete die Tür, trat hinaus.
Draußen stieß sie fast mit Berglund zusammen.
»Entschuldigung …« Er wich zur Seite, Renate ging schnell stumm an ihm vorbei. Blind schritt sie durch den lärmenden Kreis der Gäste in der großen Wohnhalle.
Auf dem Plattenpfad vor dem Haus begann sie zu laufen. Sie lief auf die Straße, lief unter den alten, entlaubten Ulmen entlang.
Nicht denken. An nichts denken.
Mein Gott, laß mich sterben, dachte sie. Bitte, laß mich doch sterben.
Berglund blickte von seiner Frau zu Dr. Warren, die Augenbrauen in der unvergleichlichen Art hochgezogen, wie er es tat, wenn er als Strafverteidiger vor Gericht einen Zeugen in die Zange nahm.
»Wer war denn die junge Dame, die so schnell unser Fest verließ?«
»Eine Bekannte –«, stieß Alexa hervor.
»Es ist das beste, wenn wir Ihrem Mann die Wahrheit sagen«, erklärte Dr. Warren.
Alexa zuckte zusammen.
»Die junge Dame hat Ihre Frau in meiner Praxis kennengelernt«, sagte Dr. Warren schnell. »Sie kam nun … Sie wollte in einer delikaten Angelegenheit die Hilfe Ihrer Frau in Anspruch nehmen. Sie wissen doch, Frau Berglund ist bekannt für ihre
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