Das dritte Leben
Mann. Was konnte er anderes tun? Er mußte diesem Fremden vertrauen.
Die Adresse Alexas hatte er auch von dem Jungen. Wie ihr gegenübertreten? Und – was sagte er ihrem Mann?
Er preßte die Lippen zusammen. Damit mußten die Berglunds nun einmal fertig werden. Er hatte auch damit fertig werden müssen.
Für ihn war das wichtigste, Sabine zu schützen. Dafür zu sorgen, daß ihr nichts zustieß. Daß sie nichts Unbedachtes tat.
Er schaute nach draußen. Der Himmel war plötzlich blankgefegt. Die ersten grün-gelb-roten Silvesterraketen stiegen zu den glasklaren Sternen hoch.
Reinhard Berglund öffnete selbst die Tür, als es klingelte. Klara war dabei, frische Cocktails zu servieren, und Alexa hockte in ihrem Salon mit diesem Dr. Warren. Was der wohl wieder wollte? Oder – sie von ihm?
Ein Mädchen, den Pelzkragen eines schmalen schwarzen Mantels hochgeschlagen, stand draußen.
»Ja, bitte?« fragte Berglund.
»Ich möchte zu Frau Berglund.«
Berglund trat zurück. »Bitte …« Ein Gast Alexas, von dem er nichts wußte?
Das Mädchen trat ein. Das Licht der schmiedeeisernen Dielenlampe fiel auf ihr Gesicht. Berglund erstarrte.
Das Mädchen schlug den Kragen des Mantels nieder. Berglunds Atem stockte.
Die gleiche ovale aristokratische Form des Gesichts, die gerade kurze Nase, die hohen Backenknochen, die leicht geschlitzten honiggelben Augen.
Nur das Haar war anders. Braun, ins Blonde schimmernd.
»Bitte …«
Eine solche Ähnlichkeit? Eine Verwandte? Absurd – er kannte alle Verwandten Alexas. Ein Zufall also.
»Bitte – Sie sind von meiner Frau eingeladen worden, nicht wahr? Legen Sie doch ab …« Er machte eine Handbewegung, als wolle er ihr aus dem Mantel helfen.
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht eingeladen. Ich möchte, ich muß Frau Berglund sprechen. In einer privaten Angelegenheit.«
Sie sah ihn unter halbgesenkten Lidern an. »Sie sind ihr Mann, nicht wahr?«
»Ja, das bin ich.« Er räusperte sich. »Meine Frau ist in ihrem Salon. Sie hat allerdings Besuch, aber kommen Sie.«
Musik rieselte aus einer Stereoanlage, Paare tanzten, die Beleuchtung war gedämpft, das Kaminfeuer flackerte, junge Männer im Smoking musterten Renate flüchtig, konnten aber nicht viel von ihr erkennen, als Berglund sie schnell in den Seitentrakt des Bungalows führte.
Er klopfte an die Tür des Salons. »Einen Moment«, rief Alexa.
Jäh schoß Eifersucht in Berglund hoch. Warum versteckte sie sich darin mit diesem verdammten Arzt?
Er stieß die Tür auf. »Hier ist jemand, der mit dir sprechen möchte«, sagte er nur, schob Renate in den Salon, schloß die Tür und ging zu den Gästen zurück.
Alexa saß auf einem mit roter Seide bezogenen Sofa. Das tiefe Schwarz ihrer Haare und das bronzene Braun ihrer nackten Schultern hoben sich scharf von dem strahlenden Weiß ihres Empirekleides ab. Ihre honiggelben Augen musterten Renate mit gespielter Überraschung.
Alexa Berglund. Das ist also meine Mutter, dachte Renate.
»Schicken Sie diesen Herrn hinaus«, sagte sie. Sie war an der Tür stehengeblieben.
»Mein liebes Kind, würden Sie die Güte haben, uns zuerst einmal zu sagen, wer Sie sind und was Sie hier wollen?« fragte der Mann.
»Ich bin Renate Berglund.«
In Alexas Gesicht zuckte es. Die Wangen vibrierten wie unter einem Schlag. Aber nur eine Sekunde lang.
»Berglund?« sie lachte leicht. »Sind Sie mit meinem Mann verwandt?«
»Nein, ich bin nicht mit Ihrem Mann verwandt, Frau Berglund. Ich bin Ihre Tochter.«
Der Mann im Sessel neben Alexa lachte.
»Daß du mir das verschwiegen hast«, sagte er spöttisch. »Solch eine hübsche Tochter! Du darfst –«
»Halten Sie Ihren Mund!« unterbrach Renate ihn.
»Sie scherzen doch wohl, nicht wahr?« fragte er, immer noch spöttisch lächelnd.
»Sie weiß, daß ich nicht scherze.«
Renate trat einen Schritt vor. Sie öffnete ihre Tasche. Nahm die Fotokopien heraus. Warf sie Alexa vor die Füße.
»Lesen Sie, Frau Berglund. Lesen Sie, was Sie vor langen Jahren an Hilde Gertner geschrieben haben!«
Der Mann neben Alexa beugte sich vor, hob die Papiere auf. Er warf einen Blick darauf, händigte sie dann Alexa aus.
Sie las, begann zu lachen. Sie gab dem Mann die Fotokopien zurück. »Nun, mein Kind, nun sagen Sie mir einmal im Ernst, das alles ist doch nur ein Silvesterscherz, nicht wahr?«
»Nein, das glaube ich nicht«, unterbrach der Mann sie. »Ich glaube eher, das soll eine kleine Erpressung sein!«
»Aber Viktor!«
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