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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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konnten meiner Krankheit nicht auf den Grund kommen. Nach meinem zwanzigsten Geburtstag überschritt ich jene imaginäre Schwelle des Todes und wurde wie durch ein Wunder gesund. Seitdem bin ich nie mehr krank gewesen, nicht einmal einen Tag!“
    „Sie sind für Suggestionen überaus empfänglich, aber war Madame Dolores’ Einschätzung von Ihnen völlig falsch?“
    „Es war totaler Blödsinn“, erwiderte Astrid hitzig. „Ist Ihnen das denn nicht klar geworden? Es sollte ihr verboten werden, Leute mit dieser blöden Wahrsagerei aufzuregen! Es ist einfach kriminell, Leuten Ideen einzutrichtern, die ihnen schaden können.“
    „Sie war in echter Trance, und nur das interessiert mich“, sagte ich, aber Astrids Aufgebrachtheit ließ sich nicht so leicht zerstreuen.
    „Und wenn schon? Das gibt ihr keinen Freibrief, Leute zu verletzen. Daß sie in hysterische Trance versinken kann, beweist noch längst nicht, daß sie die Gedanken anderer zu lesen vermag!“
    Ich hielt ein Taxi an, und wir stiegen ein. Sie sagte dem Chauffeur, wo sie ihren Wagen hatte stehenlassen und verbarg dann das Kinn in ihrem hochgeschlagenen Mantelkragen. Ich betrachtete ihr weißes Profil vor dem dunklen Stoff, während sie vor sich hin starrte. Sie spürte, daß ich sie ansah, und warf mir einen zornigen Blick zu.
    „Was sagte sie denn, das Sie so aufgeregt hat?“ fragte ich.
    Das Ausmaß ihrer Unruhe war der Beweis dafür, daß die hellseherischen Äußerungen der Zigeunerin zumindest ein Körnchen Wahrheit enthielten.
    „Sie sprach von einem Toten. Ich hatte einen Freund, der starb. Hatten Sie nicht auch welche, die inzwischen tot sind? Und was die Doppelpersönlichkeit betrifft, ich habe eine Tripel-, ja eine Quadrupelpersönlichkeit! Sie nicht etwa auch? Und was das Spitzeln angeht – was soll das heißen? Ich arbeite für keinen Geheimdienst!“
    „Heute abend sehen Sie wie Mata Hari aus“, sagte ich und legte die Hand auf ihren Arm. „Wie eine femme fatale !“
    Aber mein Scherz amüsierte sie nicht.
    „Warum wollen Sie, daß diese Zigeunerin ins Labor kommt? Was kann sie Ihnen nützen?“
    „Sie kann mir helfen festzustellen, ob eine Trance mit dem RAB-Schlaf oder dem Langwellenschlaf verwandt ist. Das sollte Sie auch interessieren, da Sie ja Ihrem Freund Heinemann assistiert haben.“
    Die Erwähnung seines Namens beruhigte sie. Sie starrte schweigend aus dem Taxifenster, und ich sank tiefer in das Polster. Ich wußte, daß ich es vermeiden mußte, die übersinnliche Wahrnehmung auch nur mit einem Wort zu streifen.
    Wir hatten die Elbchaussee erreicht; die etwas erhöht stehenden Häuser waren, bis auf vereinzelte Fenster, dunkel.
    „Da wären wir“, sagte sie und klopfte an die Trennscheibe. Das Taxi hielt. „Da drüben ist die Himmelsleiter. Entschuldigen Sie bitte, daß ich Sie nicht begleite, aber ich bin schrecklich müde.“
    „Ich habe nicht erwartet, daß Sie mich nach Hause bringen“, sagte ich. Meine Gegenwart regte sie noch immer auf. Ich bezahlte den Taxichauffeur, und er fuhr davon.
    „Gute Nacht.“ Ein einstudiertes Lächeln erhellte ihr Gesicht, als sie in den Volvo stieg. „Nur keine Bange, ich kutschiere diese alte Hexe schon zur Klinik, und morgen früh hole ich Sie ab und bringe Sie nach Ottendorf.“
    „Machen Sie sich nicht die Mühe. Liefern Sie die alte Hexe nur möglichst früh ab. Ich sehe Sie dann in Ottendorf!“
    Ehe sie etwas einwenden konnte, überquerte ich die Straße, machte hinter einem Gebüsch halt und schaute mich um. Ich sah sie in der entgegengesetzten Richtung ihrer Wohnung davonfahren, ohne die Scheinwerfer einzuschalten.
    Vielleicht hatte sie irgendwo einen Freund, den sie aufsuchte, aber das ging mich nichts an.
    Drunten strömte der Fluß dahin, gesprenkelt von Lichtern und von den Silhouetten langsam vorbeigleitender Schiffe beschattet.

12
     
    Als ich die Tür zu meinem Haus geöffnet hatte, wußte ich, daß jemand während meiner Abwesenheit hier gewesen war.
    Seit Kubatschews zynischer Warnung hatte meine Vorsicht mich darin geschult, Briefe und Papiere in ritueller Ordnung aufzubewahren und die Möbel so hinzustellen, daß ich sofort erkennen konnte, wenn etwas verschoben worden war.
    Der Biedermeierstuhl beim Eingang war etwas von der Wand abgerückt worden. Meine Pfeife und mein Tabakbeutel, die ich auf ein Tablett gelegt hatte, waren bewegt worden – die Pfeife um zwanzig Grad gedreht. Da ich alles mit fast symbolischer Präzision anzuordnen pflegte, war die

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