Das dritte Ohr
sah, daß Burns und Laqueur sich plötzlich die Ohren zuhielten, erschüttert von diesen jähen ‚lautlosen’ Geräuschen. „Zum Teufel mit Ihnen!“ tobte Kubatschew. „Zum Teufel mit Ihnen!“
Er stand mit aufgesperrtem Mund zitternd in der Mitte des Raumes. Zum erstenmal sah ich, daß er seine Fassung verlor. Ich wußte, was in Laqueurs und in Burns Verstand vorging. Sie ‚hörten’ Gedanken, die Gedanken von drei Leuten! Gedanken, die sich überschnitten.
Ein Giftgas, dachte Laqueur. Bolt wendet Giftgas gegen uns an!
Er riß einen Speer mit einer dreieckigen Spitze von der Wand.
„Nein, kein Giftgas!“ sagte ich laut und brach den Bann, der ihn so außer sich gebracht hatte. „Beobachten Sie Burns, dann erfahren Sie, was er denkt. Burns! Sehen Sie Kubatschew an. Er braucht nicht mehr mit Ihnen zu sprechen. Sie wissen es auch so!“
Durch Kubatschews Verstand rasten kaleidoskopische Bilder, bis er sich auf den kleinen Schreibtisch konzentrierte. Die Schublade! Kubatschew wußte, daß Burns einen Revolver darin aufbewahrte.
Auch Burns erkannte Kubatschews Gedanken. Er hielt die Waffe in der Hand, ehe Kubatschew ihn erreichen konnte. Als sich Kubatschew auf ihn stürzte, ging ein Schuß los.
Die Kugel traf mich. Ich spürte einen heftigen Schlag gegen die Brust, wie von einem Faustschlag. Die Kabine begann sich vor meinen Augen zu drehen. Ich wußte, daß ich fiel, spürte aber nicht mehr, wie ich auf den Boden aufschlug.
Ich hörte nochmals den scharfen Knall des Revolvers, und dann schrie eine Stimme schrill und in Todesangst.
Der Nebel schien von draußen in die Kabine eingedrungen zu sein. Er wurde dichter, bis ich die schattenhaften Gestalten nicht mehr sehen konnte. Ich beobachtete nur noch, daß einer sanft und langsam umsank, wie in einem Traum.
28
Eine Flasche Glykose hing über meinem Kopf. Ich konnte mich nicht bewegen, ein Brustverband umschloß mich fest.
Die Sonne schien durch ein Fenster, am Himmel trieben leichte Kumuluswolken. Ich hörte den Aufprall von Tennisbällen auf einem betonierten Platz und wußte, daß ich in Bauers Klinik in Ottendorf lag.
Als ich mich rührte, beugte sich ein Gesicht über mich. Es war Astrid, deren schlanker Hals züchtig von dem gestärkten Weiß einer Schwesterntracht verdeckt wurde.
Ich schloß wieder die Augen mit dem Gefühl eines angenehmen, gedankenleeren Friedens.
„Die Kugel wurde entfernt“, teilte mir Astrid mit. „Sie schlug dicht neben dem Herzen ein, traf aber keine Arterie. Vielleicht besitzen Sie gar keine.“
Mein Gedankengang setzte sich langsam in Bewegung. Ich machte die Augen nicht auf.
„Hat Löffler mich herausgeholt?“ fragte ich. „Er muß schließlich doch gekommen sein.“
„Sprechen Sie nicht. Überlassen Sie das mir!“ sagte sie.
„Das haben Sie sich immer gewünscht, nicht wahr? Einen stummen Mann, während Sie das große Wort führen“, spottete ich.
Sie kicherte und ich spürte ihre kühle Hand auf der meinen.
„Ich kann diesen Vorteil nicht lange auskosten“, sagte sie. „Ja, Löffler und die Hafenpolizei erwischten die Märthe doch noch. Sie fanden Sie und brachten Sie hierher.“
„Das hier ist kein Krankenhaus“, sagte ich, „sondern Bauers Klinik.“
„Sie haben hier einen Operationssaal, und sie beschaffen Ihnen den besten Mann. Irgendeinen Chirurgen von der Davidswache. Er weiß, wie man mit Schußwunden fertig wird.“ Die Davidswache ist das Polizeirevier auf der Reeperbahn, dem Stadtviertel, in dem die meisten Schießereien und Messerstechereien vorkommen.
„Was ist mit Kubatschew geschehen?“ fragte ich. Ich empfand keinen Schmerz, nicht einmal Unbehagen. Astrid wandte den Kopf ab und zog das Bettuch straff.
„Burns feuerte einen Revolver ab. Ich erinnere mich an zwei Schüsse“, sagte ich.
„Niemand weiß, was tatsächlich passiert ist“, sagte Astrid ausweichend. „Aber die Kabine auf dem Schiff glich einem Schlachtfeld. Sie sollten eigentlich mehr wissen als die Polizei. Sie waren schließlich dort.“
Ich schloß wieder die Augen. Da Burns’ Kugel Kubatschew verfehlt und mich getroffen hatte, hatte vielleicht die zweite Kubatschew getötet. Ich hatte eine Gestalt umsinken sehen. Ich wußte nicht, was Laqueur indessen getan hatte. Aber es war mir, daß das 232 diese Männer vernichtet hatte. Ohne meine Forschungen wären sie noch am Leben.
Astrids Stimme klang schwächer. „Und falls Sie sich fragen, warum ich Sie hier pflege – nun denn, ich habe mich
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