Das Dunkel der Seele: Die Erleuchtete 1 - Roman (German Edition)
genau«, versetzte Lance, nachdem er über meine Frage nachgedacht hatte. »Er scheint ganz okay zu sein. Im Moment läuft es meistens so, dass er mir eine Aufgabe zuteilt, dann plötzlich verschwindet, weil er was Wichtigeres zu tun hat, und dann nie wieder auftaucht.«
Ich nickte. »Mit Aurelia ist es genauso.«
Einen Moment lang schwiegen wir. Dann schüttelte Lance plötzlich den Kopf, weil er sich an etwas erinnerte. »Oh, also, ich hab das hier gefunden, und das ist wirklich gut. Ich dachte, daran hast du vielleicht auch Interesse.« Er hielt mir ein zerfleddertes Buch entgegen. Auf dem abgenutzten, staubigen Titelblatt stand Das geheime Chicago .
»Cool, danke.« Ich nahm es und überflog den Klappentext. »Bist du sicher, dass du es nicht lieber zuerst lesen willst?«
»Ich habe schon ein bisschen darin gestöbert. Stell dir mal vor, früher gab es hier unter dem Gebäude jede Menge Geheimgänge. Während der Prohibition wurde in diesen Tunneln Alkohol transportiert.«
»Echt?« Ich blätterte das Buch durch.
»Ich weiß, verrückt, oder? Wirst schon sehen.«
»Vielen Dank.«
»Kein Ding.« Er trat wieder den Rückzug an. Wir lächelten uns an, und er winkte. »Bis später.«
Ich sah ihm nach, bis er in seinem Zimmer verschwunden war. Er war so unbeholfen, aber irgendwie auch süß. Sowas dachten die Leute vielleicht auch über mich, wenn ich Glück hatte. Für unbeholfen hielten sie mich zweifellos, aber vielleicht ja auch für süß.
Dante schaute vorbei, als er für heute Schluss gemacht hatte, und war natürlich von meiner Verabredung zum Kaffee begeistert. Er improvisierte sogar ein angemessenes Outfit für mich, das im Prinzip aus meinen Fotoklamotten plus einer seiner Krawatten als Gürtel bestand. Und natürlich durfte die verbale Unterstützung nicht fehlen.
»Also, womit fängst du das Gespräch an?«, drängte er, während er mir den rosafarbenen Schlips um die Taille band.
»Wie jetzt?«
»Was hast du dir als Einstiegssatz überlegt?« Er hielt inne und starrte mich an. Meine mangelnde Vorbereitung passte ihm anscheinend gar nicht.
»Äh, brauche ich sowas denn?«
»Halloooo, ja!«
»Tja, ich weiß nicht. Ich hab einfach gedacht, überhaupt Zeit mit ihm zu verbringen, reicht doch schon für den Anfang. Und dann wollte ich sehen, was er so sagt, und …«
»Meine Liebe, du musst hier schon ein bisschen pokern. Und deshalb sollten wir uns auch über solche Dinge Gedanken machen. Es geht einfach nicht, dass du wertvolle Gelegenheiten ungenutzt verstreichen lässt – wie zum Beispiel die Chance, ihm die Krawatte zu lockern.«
»Gut. Hab’s kapiert.«
»Dieser Schlips hier«, er zupfte an meinem improvisierten Gürtel, »ist eine unterschwellige Botschaft an ihn und für dich ein Signal zu handeln!«
Er schob mich vor den Spiegel. Trotz seiner Beteuerungen hatte ich an meinem Outfit gezweifelt, aber es sah wirklich gar nicht übel aus.
Wir ließen uns aufs Bett fallen.
»Er hat also keine Uhrzeit genannt?«, fragte Dante zum millionsten Mal.
»Nein!«
»Okay, okay, sorry, ich wollte ja nur sichergehen.«
Den Rest des Nachmittags verbrachten wir mit Quatschen und Warten … und warteten und warteten darauf, dass jemand an die Tür klopfen würde. Als wir gegen elf anfingen, abwechselnd zu gähnen und einzunicken, beschlossen wir, endlich das Handtuch zu werfen.
»Dan, ich bin ein lebendes Klischee«, grummelte ich und gähnte. »Ich kann nicht fassen, dass ich plötzlich eine von diesen Frauen bin, die rumsitzen und auf einen Typen warten. Ich hasse mich dafür. Über so was haben wir vorher immer unsere Witze gerissen.«
»Ja, schon. Aber das ist doch dein erstes Vergehen in der Richtung. Außerdem, sieh’s mal positiv – so ganz daneben ist es auch wieder nicht. Wenn du hier schon rumhängst, um auf irgendeinen Kerl zu warten, dann sollte es wenigstens ein superheißer Typ sein. Falls dir das ein Trost ist: Ich bin total neidisch, denn ich werde ja nicht mal versetzt. Ich muss mir unbedingt auch einen Schwarm zulegen.« Seine Stimme klang plötzlich nicht mehr so flirrend wie sonst, und er hatte den Blick gesenkt.
»Ich kann dir versprechen, dass irgendwann der Richtige kommt. Aber in der Zwischenzeit musst du dich wenigstens nicht wie ein Idiot fühlen, so wie ich.«
»So etwas passiert manchmal eben. Und es war ja auch gar keine richtige Verabredung; vermutlich gibt es eine Erklärung dafür. Aber ich hoffe wirklich, dass er beim nächsten Mal auf dich
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