Das dunkelste Blau
Dich in diesem Brief zu reproduzieren, Du mußt uns also besuchen kommen, wenn Du ihn sehen willst.
Trotzdem kann ich Dir ein paar Fakten mitteilen. Die erste Erwähnung eines Tournier in Moutier war die von Etienne Tournier, in einer Soldliste des Militärs von 1576 . Dann wurde 1590 die Taufe eines weiteren Etienne Tournier verzeichnet, Sohn von Jean Tournier und Marthe Rougemont. Aus dieser Zeit gibt es wenig erhaltene Aufzeichnungen, aber später gibt es sehr viele Erwähnungen von Tourniers – der Familienstammbaum ist sehr ergiebig seit dem achtzehnten Jahrhundert.
Die Tourniers übten eine Vielzahl von Berufen aus: Schneider, Wirte, Uhrmacher, Lehrer. Ein Jean Tournier wurde im frühen 19 . Jahrhundert sogar zum Bürgermeister gewählt.
Du hast nach französischen Wurzeln gefragt. Mein Großvater sprach manchmal davon, daß die Tourniers ursprünglich aus den Cevennen kamen. Ich weiß aber nicht, woher er diese Informationen hatte.
Es freut mich, daß Du Dich für die Familie interessierst, und ich hoffe, daß Du uns bald einmal mit Deinem Mann besuchst.Ein neues Mitglied der Familie der Tourniers ist in Moutier immer willkommen.
Dein usw.
Jacob Tournier.
Ich sah auf. »Wo ist Cevennen?« fragte ich.
Jean-Paul zeigte über meine Schulter. »Im Nordosten. Es ist ein Gebiet in den Bergen nördlich von Montpellier, westlich der Rhône. Am Tarn und noch etwas weiter nach Süden.«
Ich hielt am einzigen Stück mir bekannter Geographie fest. »Dieser Tarn?« Ich wies mit dem Kinn auf den Fluß unter uns und hoffte, daß ihm nicht aufgefallen war, daß ich gedacht hatte, die Cevennen wären eine Stadt. »Ja. Er ist im Osten, näher bei der Quelle, ganz anders. Viel schmaler und schneller.«
»Und wo ist die Rhône?«
Er warf mir einen mißbilligenden Blick zu, fischte dann in seiner Tasche nach einem Stift und zeichnete schnell die Umrisse Frankreichs auf eine Serviette. Die Form erinnerte mich an den Kopf einer Kuh: Die Ohren waren die östlichen und westlichen Enden, oben der Haarbüschel zwischen den Ohren, die Grenze zu Spanien bildete das viereckige Maul. Er malte Punkte für Paris, Toulouse, Lyon, Marseille, Montpellier, gekrümmte vertikale und horizontale Linien für die Rhône und den Tarn. Als nachträglichen Einfall setzte er einen Punkt neben den Tarn, rechts von Toulouse, um Lisle-sur-Tarn zu markieren. Dann malte er einen Kreis in die linke Wange der Kuh knapp über der Riviera. »Da sind die Cevennen.«
»Sie meinen, die kamen von einer Gegend ganz in der Nähe?«
Jean-Paul schob die Lippen vor. »Von hier zu den Cevennen sind es mindestens 200 Kilometer. Finden Sie das nah?«
»Für einen Amerikaner schon«, erwiderte ich rechtfertigend, und mir fiel ein, daß ich kürzlich meinen Vater für genau diese Einstellung kritisiert hatte. »Manche Amerikaner fahren hundert Meilen zu einer Party. Aber es ist doch ein erstaunlicher Zufall,daß meine Vorfahren in Ihrem großen Land –« ich gestikulierte auf dem Kuhkopf herum – »aus einer Gegend relativ nah von dort, wo ich jetzt wohne, kamen.«
»Ein erstaunlicher Zufall«, wiederholte Jean-Paul in einer Weise, die mich wünschen ließ, ich hätte das Adjektiv weggelassen.
»Vielleicht kann ich ein bißchen mehr über sie herausfinden, wenn es so nah ist.« Ich erinnerte mich, daß Madame Sentier gesagt hatte, ich würde mich mehr zu Hause fühlen, wenn ich etwas über meine französischen Vorfahren wüßte. »Ich fahre einfach hin und –« Ich hielt inne. Was genau würde ich da tun?
»Ihr Cousin schreibt, es sei nur Hörensagen, daß sie von da kamen. Also ist es keine verläßliche Information. Nichts Konkretes.« Er lehnte sich zurück, schüttelte eine Zigarette aus der Packung auf dem Tisch und zündete sie mit einer raschen Bewegung an. »Außerdem wissen Sie über Ihre Schweizer Vorfahren schon alles, und es gibt einen Familienstammbaum. Sie haben die Familie bis 1567 zurückverfolgt, das ist mehr als die meisten Leute über ihre Familien wissen. Das reicht doch, oder?«
»Aber es würde Spaß machen, ein bißchen Forschung zu betreiben. Ich könnte alte Dokumente einsehen oder so.«
Er sah amüsiert aus. »Was für Dokumente, Ella Tournier?«
»Na ja, Geburtsurkunden. Sterbeurkunden. Heiratsregister. So was.«
»Und wo wollen Sie diese Dokumente finden?«
Ich warf die Hände in die Luft. »Das weiß ich doch nicht. Das ist doch Ihr Job. Sie sind schließlich der Bibliothekar!«
»Okay.« Daß an seinen Beruf appelliert
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