Das dunkle Erbe
offenbar hatte er sie nicht eingeweiht. Raupach sagte, er werde so bald wie möglich nach Poll kommen, ebenso ein Team der Spurensicherung.
Die Suchaktion in der Villa zeichnete sich zunehmend als Blamage auf der ganzen Linie ab, als grandioser Misserfolg.
Frau Rosinsky kam in der Villa vorbei, aus alter Gewohnheit. Erst fiel sie aus allen Wolken. Dann wurde ihr einiges klar. Sie habe Hornung nie so richtig getraut. Man merke ja, ob jemand sich verstellte. So sei es ihr mit ihm gegangen, von Anfang an. Erstaunlich sei nur gewesen, dass Hornung die Maske des hilfsbereiten Pragmatikers so lange durchgehalten habe, immerhin acht Jahre.
»Es muss wie eine zweite Haut gewesen sein«, meinte sie, »wie einer seiner Overalls, in die er morgens hineinschlüpfte.«
»So stellen wir uns das auch vor«, sagte Photini. Sie unterhielt sich noch ein paar Minuten mit Frau Rosinsky und schickte sie dann nach Hause.
Schließlich stand Photini wieder vor der leeren Grube. Sie lachte.
»Für Heiterkeitsausbrüche ist die Sache zu ernst«, sagte Raupach.
»Ein Hausmeister hat uns das Zeug vor der Nase weggeschnappt. Das war verdammt clever.« Photini kickte einen Brocken Schutt in die Grube. »Er wusste genau, wo sich der Schatz befand. Vielleicht ist er auf den gleichen Gedanken gekommen wie ich und hat den Boden abgeklopft. Vielleicht hat er den alten Untersuchungsstuhl zur Seite geschoben. Oder er hat ihn auseinandergenommen und einfach abgebaut. Wie konnte ich auf diesen Kerl nur hereinfallen?«
»Das taten andere auch. Sie mussten dafür mit dem Leben bezahlen.« Raupach drehte sich weg. »Ich halte Hornung nicht nur für einen Dieb, sondern auch für einen Mörder. Ich vermute, er hatte ursprünglich einen anderen Plan. Nachdem er Eva von Barth beseitigt und den Verdacht auf Bernhard Schwan gelenkt hatte, meinte er, in der Villa freie Bahn zu haben. Nach einer kurzen Wartezeit hätte er den Keller nach Herzenslust aufmeißeln können, ohne dass es jemanden gekümmert hätte. Aber dann kam ihm Sharon dazwischen. Ihre Anwesenheit in Köln erforderte schnelles Handeln. Er hatte keine Ahnung, wie viel sie von dem Schatz wusste und wie weit ihre Nachforschungen gehen würden. Deshalb stahl er auch die Briefe, die Sharon an Eva geschrieben hatte.«
»Und woher wusste Hornung von dem Schatz?«, fragte Photini.
»Das ist noch offen.«
Effie und ihre Leute hatten alle Hände voll zu tun. Ein Kriminaltechniker machte sich gerade daran, die Grube zu fotografieren.
»Schicken Sie mir einen Abzug«, sagte Photini. »Zur Mahnung, dass es auch noch in letzter Sekunde ganz anders kommen kann, als man denkt.«
»Ihre Kollegin hat auch Aufnahmen gemacht«, erwiderte der Techniker. »Mit dem Handy.«
»Wer?«
»Darum werde ich mich kümmern«, sagte Raupach. »Bleib hier, Fofó.«
Photini nickte, wenig überzeugt.
Er fand Sharon im Freien. Sie tippte gerade auf ihrem Mobiltelefon herum.
»Wozu die Fotografien?«, fragte Raupach.
»Für meine Zeitung. So war doch unsere Abmachung.«
Er streckte den Arm aus. »Gibst du mir das Handy freiwillig?«
»Ich hab die Dateien gerade abgeschickt.«
»Das ist ein Tatort. Wir stecken noch mitten in dem Fall.«
»Ich mach nur meine Arbeit«, verteidigte sie sich.
»Du gehst zu weit.«
Sharon steckte das Handy ein. »Das wusstest du vorher.«
Raupach trat einen Schritt zurück. »Ich hab geahnt, dass so etwas passiert. Dass du es bei der ersten Gelegenheit kaputtmachst.«
»Was denn?«
»Wie nah wir uns gewesen waren.«
»Nach dieser Katastrophe mit den Austern meinst du? Das war … ein Notfall. Ich hab gekriegt, was der Doktor verordnet hat.« Sie lächelte, aber nur kurz, als sie sah, dass Raupach keine Miene verzog.
»Es hätte mehr daraus werden können.«
Das klang, als habe er mit der Sache abgeschlossen. »Du nimmst das ganz schön schwer.«
»Es ist so meine Art.«
Sharon überlegte, ob sie ihm das Handy nicht doch überlassen sollte. Die Bilder waren schon auf dem Weg nach New York, in bestmöglicher Qualität. Aber manchmal ging bei diesen digitalen Übertragungen etwas verloren. Sie wollte ihre Aufnahmen unbedingt behalten, die waren wertvoll, definitiv. Das, was Raupach da zwischen ihnen andeutete, war dagegen unsicher. Es konnte wertvoll werden. Oder auch nicht.
»Wir sind einem Schatz auf der Spur«, sagte sie schließlich. »Darauf müssen wir uns konzentrieren.«
PHOTINI NAHM die Rodenkirchener Brücke nach Poll. Die Sonne schien. Sie pfiff vor sich
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