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Das dunkle Fenster (German Edition)

Das dunkle Fenster (German Edition)

Titel: Das dunkle Fenster (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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Nikolaj vor ihm stehen blieb, starrte der Mann länger auf das Foto. Er blätterte durch den Pass, dann sah er auf.
    „Woher kommen Sie?“, fragte er in stark akzentuiertem Englisch.
    „Paphos. Wir waren zwei Wochen in Paphos. Jetzt wollen wir noch eine Woche nach Griechenland und dann“, er lächelte, „müssen wir zurück. Leider.“
    „Zurück nach ...“, der Kontrolleur schaute noch einmal in den Ausweis, „Deutschland?“
    „Ja, genau.“
    „Na dann“, der Mann klappte den Pass zu und gab ihn Nikolaj zurück, „gute Reise.“
    Carmen entspannte sich. Sie war nervös, die ganze Zeit schon. Sie rechnete damit, dass jeden Augenblick etwas passieren konnte. In den letzten fünf Tagen war sie entführt und als Geisel festgehalten worden, mehrfach in eine Schießerei geraten und hatte sich am Ende entschlossen, die Seiten zu wechseln. Angesichts dessen erschien es ihr beinahe schon absurd, wie leicht sie mit ihren gefälschten Pässen die Kontrolle passierten.
41 Tel Aviv | Israel
     
    Die Hitze war drückend, und auch zum Abend kühlte die Luft nur unwesentlich ab. Rafiq beobachtete den Glutpunkt, der aufleuchtete, als Katzenbaum an seiner Zigarette zog. Lev saß in seinem Lehnstuhl, eine schwarze Silhouette, und hielt das bandagierte Bein steif vor sich ausgestreckt.
    „Komm, setz dich“, sagte Katzenbaum, ohne sich umzusehen.
    Rafiq trat durch die Türöffnung hinaus auf die Veranda. Die Holzdielen knarrten unter seinem Gewicht.
    „Du solltest dir wirklich angewöhnen, die Tür abzuschließen“, sagte er. „Irgendwann räumt dir mal jemand das Haus aus.“
    „Ja, vermutlich“, brummte Katzenbaum.
    „Wie geht es dir?“, fragte Rafiq. Er wusste, dass Katzenbaum darauf bestanden hatte, sofort nach Hause zu fahren, anstatt noch ein paar Tage im Krankenhaus zu bleiben, wie es ihm die Ärzte geraten hatten. Die Stationsschwester hatte es ihm erzählt.
    „Ich kann nicht schlafen“, erwiderte Katzenbaum, „weil ich nachdenken muss.“ Er blies den Rauch aus. Dann endlich drehte er den Kopf. Er machte eine ungeduldige Handbewegung. „Jetzt nimm dir einen Stuhl und setz dich hin“, wiederholte er. „Es macht mich nervös, wenn du hinter mir stehst.“
    Rafiq gehorchte. Sie hatten nicht mehr als ein paar Worte gewechselt, seit Rafiq den Katsa, halb ohnmächtig vom Blutverlust, auf dem Sandplatz oberhalb der Küste gefunden hatte. Die Kugel hatte Levs Oberschenkel durchschlagen und dabei eine Arterie verletzt.
    „Die wollten mich zuerst nicht gehen lassen“, sagte Katzenbaum. Er lachte leise. „Aber sie konnten mich ja schlecht am Bett festbinden.“
    Rafiq dachte an die hastige Säuberungsaktion. Acht Mann, die das Gelände durchkämmten und die Toten aufsammelten. Sechs Leichen insgesamt, die in schwarzen Plastiksäcken nach Israel zurückkehrten, unter ihnen Eli Barel, der Einsatzleiter des Teams. Rafiq wusste, dass er eine junge Frau und ein Kind zurückließ. Und die anderen? Ihre Familien kannte Rafiq nicht, aber gewiss gab es auch da Ehefrauen, Kinder, Mütter und Väter, denen man die Nachricht vom Tod ihrer Söhne überbringen würde. Und sie würden zuhören, Fassungslosigkeit auf ihren Gesichtern, während ein Offizier mit feierlicher Miene erklärte, dass die Männer für ihr Land gestorben waren. Dass sie Helden waren. Aber machte es das leichter?
    „Ich wollte mit dir reden“, sagte er. „Über das, was da passiert ist.“
    „Ja“, erwiderte Katzenbaum. Er hustete und bückte sich nach einem Wasserglas, das neben ihm auf dem Boden stand. „Das ist es“, fuhr er dann fort, „worüber ich die ganze Zeit nachdenke.“ Er trank einen Schluck und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab, dann sprach er weiter. „Fedorow war allein, oder? Wie konnte er es schaffen, einfach so sechs Männer umzulegen?“
    „Nicht einfach so. Ich habe mich gründlich umgesehen, bevor unser Backup-Team aufgeräumt hat.“
    Katzenbaum hob den Kopf. Trotz der Dunkelheit sah Rafiq, dass seine Augen glitzerten. Plötzlich lag eine schwer greifbare Spannung in der Luft.
    „Was meinst du?“
    „Drei Dinge“, sagte Rafiq. Er hörte seine eigene Stimme vibrieren. Die innere Unruhe, die ihn seit seiner Entdeckung quälte und die sich seither kontinuierlich aufgestaut hatte, brach sich endgültig Bahn. „Oder nein, warte“, unterbrach er sich selbst. „Zuerst muss ich dich was fragen.“
    Aus der Nachbarschaft wehten Stimmen und Gelächter hinüber.
    „Hast du mir vielleicht irgendetwas

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