Das dunkle Fenster (German Edition)
Aufenthalts in Tel Aviv gegeben hatten, lag in einem Betonblock am Rand der Stadt. Sie bestand aus einem Wohnzimmer mit einer Kochnische und einem winzigen Schlafzimmer. Die Möbel wirkten zweckmäßig und anonym. Austauschbar. Das war das Wort, das diese Unterkunft am besten charakterisierte.
Es machte ihn nervös, dass er im Moment nichts anderes tun konnte, als untätig herumzusitzen. Gereizt rauchte er eine Zigarette nach der anderen und starrte abwechselnd auf das Telefon und aus dem Fenster. Die Wohnung lag im neunten Stock und gewährte einen weiten Blick über die Stadt. Eine mehrspurige Straße schnitt sich durch die Wohnblöcke wie eine tiefe Schlucht. Dahinter erstreckte sich ein Labyrinth aus Dächern und dann im dunstigen Blau das Meer. Im Fernsehen lief CNN, aber er hatte den Ton abgestellt.
So viel Aufwand, dachte er verbittert, so viel Risiko. Und was hatten sie erreicht? Nichts. Fedorow war verschwunden, und Carmen mit ihm. Und Katzenbaum tat so, als hätten sie alle Zeit der Welt.
Er dachte an die Konfrontation mit Fedorow vor ein paar Tagen. Der Russe hätte ihn auch töten können, überlegte Rafiq mit aufsteigender Ratlosigkeit. Bei den Sayeret Mat’Kal-Männern hatte er jedenfalls nicht gezaudert.
Warum also hatte er es nicht zu Ende gebracht? War es Nostalgie gewesen? Eine sentimentale Erinnerung an alte Zeiten? Rafiq schüttelte den Kopf. Er selbst hätte nicht gezögert in dieser Situation, davon war er überzeugt.
Er hätte Nikolaj die Kehle durchgeschnitten.
46 München | Deutschland
Carmens Knöchel schwoll zusehends an. Sie hinkte stark, jeder Schritt bereitete ihr Schmerzen. Nikolaj stützte sie, während sie langsam nebeneinander herliefen. Vor zehn Minuten hatten sie die Autobahn unterquert, jetzt folgten sie dem Waldrand und hielten auf eine Siedlung zu, deren Dächer in der Ferne zu sehen waren.
„Was ist mit dieser Wohnung?“, fragte Nikolaj. „Weiß jemand davon?“
„Du meinst offiziell?“ Carmen hatte sich wieder weit genug im Griff, dass sie klar denken konnte. „Nein, das ist“, sie stockte, „die Wohnung gehört einer Freundin. Aber sie ist für ein paar Monate im Ausland. Sie hat mir den Schlüssel gegeben, damit ich ab und zu nach dem Rechten sehe.“
„Wo genau ist das?“
„Schellingstraße. Schwabing. Das ist ein Studentenviertel.“
Sie stießen auf eine Landstraße, Etwa hundert Meter vor ihnen tauchte ein einzelner Hof auf, der verlassen wirkte. Hinter der Scheune entdeckten sie einen Traktor und zwei PKW. Nikolaj hielt Carmen mit einer Handbewegung zurück.
„Warte hier. Wir brauchen einen Wagen.“
Carmen gehorchte ohne Widerspruch. Nikolaj näherte sich dem Grundstück von der Rückseite her. Die Scheune verdeckte den Blick vom Wohnhaus auf den improvisierten Parkplatz. Mit etwas Glück würde niemand bemerken, dass er sich an den Fahrzeugen zu schaffen machte. Nach kurzem Überlegen entschied er sich für einen betagten Ford Escort, der mit Sicherheit über keine modernen Einrichtungen wie Alarmanlage oder elektronische Wegfahrsperre verfügte. Er brauchte nur wenige Handgriffe, um das Türschloss aufzubrechen und denAnlasser kurzzuschließen. Der alte Benzinmotor stotterte, aber als Nikolaj ein paar Mal Gas gab, begann er gleichmäßig zu laufen. Die Tankanzeige stand auf dreiviertel voll – perfekt. Er lenkte den Ford um die Gebäude herum zur Straße, hielt kurz an und ließ Carmen einsteigen. Noch immer regte sich niemand auf dem Gehöft. Der Diebstahl war unbemerkt geblieben.
„Okay“, meinte Nikolaj, „wohin?“
„Wenden und dann in den Ort“, sagte Carmen. „Wir nehmen die Landstraße.“
Die Wohnung von Carmens Freundin war groß und geräumig und lag in einer belebten Gegend voller Kneipen und Cafés. Nikolaj beobachtete vom Küchenfenster aus das Geschehen auf der Straße. Inzwischen war es später Nachmittag; der Berufsverkehr setzte allmählich ein. Vor den Kreuzungen stauten sich die Autos.
Carmen schlief immer noch, sie hatte direkt nach ihrer Ankunft ein heißes Bad genommen und sich ins Bett gelegt. Nikolaj war ebenfalls müde, aber er hatte das Gefühl, dass wenigstens einer von ihnen die Augen offen halten musste. Egal, ob diese Wohnung dem Mossad bekannt war oder nicht.
Auf den Vorfall an der Autobahn konnte er sich keinen Reim machen, obwohl er den ganzen Nachmittag darüber gegrübelt hatte. Der Überfall war plötzlich und unerwartet erfolgt, und es war klar gewesen, dass die Männer im BMW keine
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