Das dunkle Fenster (German Edition)
Gesicht. Sie wollte das jetzt nicht erklären. „Hast du eine Zigarette für mich?“
Wortlos hielt er ihr die Packung hin. Sie nahm das Feuerzeug von der Ablage und zündete sich die Zigarette an. Tief inhalierte sie den ersten Zug.
„Wer waren die Typen?“, fragte sie.
„Erwartest du eine ehrliche Antwort?“
Sie verzog ironisch einen Mundwinkel. Er wusste es nicht. Das hatte sie befürchtet. Oder er wusste es, und wollte es ihr nicht sagen. Aber das glaubte sie eigentlich nicht.
Nikolaj schüttelte den Kopf.
Carmen wünschte sich plötzlich zu verstehen, was in seinem Hirn vorging. Seine Worte und Gesten wirkten gefasst, aber Carmen glaubte inzwischen, dass es Konditionierung war. Fassade. Der Mensch dahinter entzog sich ihr.
„Ich habe eine Theorie“, sagte er in das Schweigen hinein.
„Oh.“ Carmen setzte die Kaffeetasse ab. Sie stemmte sich rücklings hoch und setzte sich auf die Arbeitsplatte. Mit einer Hand stäubte sie die Asche ins Spülbecken neben sich. „Sag“, forderte sie ihn auf.
„Dazu“, er warf einen Blick aus dem Fenster, „muss ich etwas ausholen.“
„Kein Problem.“
„Hatte ich erwähnt, dass ich in Megiddo zwei Typen kennen gelernt hatte?“
„Mit denen zusammen du abgehauen bist, ja.“
„Francesco und Gregor, genau. Gregor ist Russe, deshalb haben wir uns gleich gut verstanden.“ Nikolaj lachte trocken. „Er war früher beim KGB und hat einen Bruder beim Militär. Nach dem Sieg des Kapitalismus haben sie zusammen Waffen aus Rote-Armee-Beständen verschoben. Gregor wollte Geschäfte mit der PLO machen, aber jemand hat ihn aufs Glatteis geführt. Die Israelis haben ihn erwischt und sofort eingesperrt.“
Carmen nickte nur.
„Francesco hatte auch eine interessante Vergangenheit. Warum er in Megiddo einsaß, weiß ich nicht genau. Er muss früher mal Soldat beim italienischen UNO-Kontingent in Beirut gewesen sein und hat sich wohl abgesetzt, um ein Drogengeschäft für einen Cousin einzufädeln. So was in der Art. Seine Familie ist ziemlich wohlhabend und ganz den Traditionen der kalabrischen Mafia verpflichtet.“ Er öffnete das Fenster einen Spalt; ein Schwall kalter Luft wehte in die Küche. Mit einer kleinen Bewegung drückte er den Zigarettenrest auf dem Fensterblech aus.
Carmen beobachtete, wie die Gardine sich im Wind bauschte.
„Deshalb war es für ihn auch leicht, uns außer Landes zu bringen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel Macht diese Leute haben. Nachdem wir erst mal aus Megiddo raus waren und Francesco seine Freunde anrufen konnte, war es ein Kinderspiel.“
Er machte eine Pause. Sie sah, wie sich eine Falte zwischen seinen Augenbrauen bildete. Etwas beschäftigte ihn. Wahrscheinlich rang er mit sich, wie viel er ihr erzählen sollte. Dabei war es lächerlich – als ob diese alten Geschichten noch eine Rolle spielten. Sein Misstrauen war unbegründet. Selbst wenn sich eine verwertbare Information dabei fand, Carmen hatte im Moment wirklich andere Sorgen, als einer erkalteten Spur nachzujagen, die noch dazu aus einem fremden Leben stammte.
„Wohin haben sie euch gebracht?“, fragte sie, um das Gespräch in Gang zu halten. „Nach Europa?“
„Zuerst nach Italien. Dann telefonierte Gregor mit ein paar Leuten. Er überredete mich, ihn nach Hause zu begleiten. Damit meinte er natürlich Moskau.“
„Du warst doch noch nie in deinem Leben in Russland“, entschlüpfte es Carmen.
„Ich kannte Moskau nur vom Hörensagen. Ehrlich gesagt, ich war überrascht. Das war“, er überlegte kurz, „1994. Alles war möglich, wenn man bereit war, sein Glück in die eigene Hand zu nehmen. Gregor stellte mich ein paar Freunden vor. Ich quartierte mich erst mal bei ihm ein, aber das konnte natürlich nicht ewig so gehen. Ich brauchte Geld.“
„Klar“, sagte Carmen. Die Luft wurde allmählich kalt. Sie fröstelte.
Nikolaj schlug das Fenster zu. „Also habe ich für mich eine Aufstellung gemacht, was ich an nützlichen Dingen vorzuweisen hatte.“
„Ich kann mir schon denken, was dabei heraus kam.“
Er schaute auf und sah sie an. Der Hauch eines Lächelns lag um seine Mundwinkel. Carmen fühlte sich unter seinem Blick seltsam linkisch, so als hätte sie etwas Unpassendes gesagt. Schnell drehte sie sich um und griff nach ihrer Kaffeetasse.
„Kein Beruf, kein Studium“, sagte er emotionslos. „Dafür die Kenntnisse, die man so als Guerillakämpfer erwirbt, auch wenn es nur zwei Jahre waren. Und dann die Zeit im Gefängnis. Da lernt
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