Das dunkle Fenster (German Edition)
hatte, das Geschäft wieder aufzubauen.
So viel hatte sich seit damals geändert. Die Gründe ihres Streits waren hinfällig geworden. Das Böse hatte sein Gesicht verändert. Alles hatte sich verändert. Ein Feindbild, an das er einmal mit Leidenschaft geglaubt hatte, war ins Gegenteil verkehrt worden. Weniger aus Überzeugung denn aus Notwendigkeiten.
Die Wege Gottes sind unergründlich.
Sein Vater war, obschon sehr liberal, stets ein gläubiges Mitglied der schiitischen Gemeinde gewesen. Etwas, das Rafiq nicht von sich behaupten konnte. In dieser Hinsicht, wie auch in anderen hatte er sich also kaum als guter Sohn erwiesen.
Er versuchte sich vorzustellen, wie der alte Mann reagieren würde, wenn er erfuhr, dass sein Sohn nun für die Israelis arbeitete. Der Gedanke amüsierte ihn einen Moment, dann schob er ihn beiseite, weil sich ein bitterer Beigeschmack auszubreiten begann.
Letztlich trug Nikolaj die Schuld daran, wie die Dinge sich entwickelt hatten. Rafiq hatte sich später oft gefragt, was er getan hätte, wäre er in Nikolajs Lage gewesen. Hätte auch er seine Freunde verraten, um sich selbst freizukaufen?
Zu Anfang hatte er sich diese Frage mit einem überzeugten Nein beantwortet. Mit den Jahren war er jedoch unsicher geworden. Todesangst ist eine mächtige Empfindung, sie relativiert alle anderen Werte. Wie war das, wenn man mit verbundenen Augen im Dreck kniete, die Handgelenke mit Kabelbinder hinter den Rücken gefesselt und vor einem standen Typen vom Militär, die darüber diskutierten, ob sie einem die Kniescheiben zerschießen sollten? Wie hatte er selbst sich gefühlt, halb im Delirium, in diesem Verhör mit den Shaback-Leuten? Er konnte sich kaum noch erinnern. Sie hatten nach Zahlen gefragt, nach gesichtslosen Fakten, die er ihnen auch gegeben hatte. Das war ihm nie so verwerflich erschienen wie das, was Nikolaj getan hatte. Später war ihm flüchtig der Gedanke gekommen, dass diese Informationen vielleicht für andere das Todesurteil bedeutet hatten. Nur, weil es keine Namen und keine Gesichter gab, sprach ihn das nicht von der Schuld frei.
Es waren unangenehme Gedanken, die er nicht weiter verfolgen mochte.
Rafiq versuchte seine Gefühle auszuloten und fand nur Gleichgültigkeit. Das überraschte ihn. Einst hatte er Zorn empfunden, dann Hass. Dann schwelende Schuldgefühle, weil in einem Winkel seiner Seele Befriedigung lauerte. Wegen Carmen. Er hatte immer gewusst, dass sie Nikolaj ihm vorgezogen hätte. Der Russe war nur zu blind und zu schüchtern gewesen, seine Hand nach ihr auszustrecken. Dann, als er sich als Verräter erwies und aus ihrem Leben verschwand, ergriff Rafiq seine Chance. Der lästige Rivale hatte sich selbst aus dem Weg geräumt.
Gewaltsam unterdrückte er die Überlegungen. Sie verstärkten sein Unbehagen und trugen nicht dazu bei, dass sein innerer Aufruhr sich legte. Stattdessen versuchte er sich erneut auf die Blätter in seiner Hand zu konzentrieren.
Rosenfeldt war US-Senator gewesen und in dieser Position zugleich einer der mächtigsten Botschafter des jüdischen Staates außerhalb von Israel. Mit Ephraim Seltzer hatte ihn eine enge persönliche Freundschaft verbunden. Sicher auch ein Grund dafür, dass er den Mossad mit großzügigen finanziellen Zuwendungen unterstützte. Sein Tod war nicht nur auf politischer Ebene ein Fanal gewesen, er hatte auch die subtil gesponnenen Netze der Nachrichtendienste heftig erschüttert.
Viele der Informationen im Dossier stammten aus CIA-Quellen, denn der Mossad hatte sich erst aktiv eingeklinkt, als der Senator bereits tot war und zur Jagd auf den Killer geblasen wurde.
Rosenfeldts Besuch in Berlin wurde von den üblichen Sicherheitsmaßnahmen flankiert. Deutsche Polizeibeamte hatten gemeinsam mit CIA-Leuten das Museumsgelände gesichert, dabei aber das Eindringen des Killers nicht verhindern können. Offenbar war der Mann getarnt als Mitarbeiter einer Catering-Firma ins Innere gelangt. Vor der Eröffnungsfeier hatte sich Rosenfeldt mit Max Fischer getroffen, dem erst kürzlich eingesetzten Direktor des Jüdischen Museums. Der Killer lauerte ihm auf dem Weg zu Fischers Büro im zweiten Stock auf und erschoss ihn aus kurzer Entfernung. Fabio entkam durch den Wirtschaftstrakt des Museums und fuhr mit einem Mietwagen zu seinem Hotel in Berlin-Mitte. Den Wagen stellten später Beamte des BKA sicher, ebenso wie die persönlichen Sachen des Killers, die er in seinem Hotelzimmer zurückgelassen hatte.
Rafiq bestellte einen
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