Das dunkle Fenster (German Edition)
er hatte sie zu allererst gelesen. Den gestohlenen Wagen fand man später in einer Tiefgarage, die Fluchtroute des Killers führte über München und Paris weiter über die spanische Grenze und verlor sich dann irgendwo in den Pyrenäen.
Der CIA vermutete, dass es sich bei dem Libanesen um den geisterhaften Killer handelte, der in den Akten der Geheimdienste unter dem Namen Fabio geführt wurde. Er hatte sich als Musa Abou-Fadel im ‚Drei Linden’ eingebucht, ein Name, der sich bei näherer Überprüfung als falsch erwiesen hatte.
Es wurde außerdem die These aufgestellt, dass Fabio und Delani ein und derselbe Mann waren. Delani war von seiner Frau bis in die Tiefgarage des Hotels Drei Linden verfolgt worden. Als später der libanesische Geschäftsmann auftauchte, war sie auf ihn zugelaufen und hatte ihn mit Vorwürfen überhäuft. Warum hätte sie das tun sollen, wenn es nicht ihr Ehemann war? Und Verheyen hatte sicher nicht ohne Grund auf ihn geschossen. Er war zu diesem Zeitpunkt bereits überzeugt gewesen, dass Delani der Mann war, der Rosenfeldt getötet hatte.
Die Kellnerin trat an Rafiqs Tisch, schenkte abermals Kaffee nach und stellte ihm eine Schale mit Obst hin. Geistesabwesend murmelte er einen Dank.
Bis zum Rosenfeld-Attentat war Fabio wie ein Gespenst gewesen, das durch die Akten der Dienste geisterte. Der Mossad selbst besaß so gut wie keine Aufzeichnungen über den Mann. Die Informationen im Dossier stammten überwiegend aus fremden Quellen. Beim CIA hatten sie sich lange mit dem Mythos Fabio auseinandergesetzt, aber nie etwas Stichhaltiges gefunden. Dem Mann wurden ein paar spektakuläre Morde zugeschrieben. Es gab verschiedene Theorien über seine Herkunft. Manche sagten, er stamme aus den Reihen der sizilianischen Camorra, andere hielten ihn für einen Ex-KGB-Killer. Beweise gab es weder für die eine noch die andere Version und auch nicht für das Dutzend weiterer Hypothesen, die unter den Analysten kursierten.
Rafiq versuchte, den Nikolaj Fedorow seiner Erinnerung in die Rolle des geheimnisvollen Killers zu projizieren, doch die Vorstellung war einfach lächerlich. Es gelang ihm immer noch nicht, ein Gesicht zu fokussieren, aber er wusste, wie Nikolaj gewesen war. Ein schweigsamerJunge, der seine schüchterne Zurückhaltung auch mit dem Erwachsenwerden nicht abgelegt hatte. Die Übereinstimmung der Bilder in der Datenbank konnte nur ein Zufall sein.
Andererseits war Katzenbaums Theorie genauso gut oder schlecht wie jede andere.
Dann fragte Rafiq sich, wie Carmen reagieren würde, wenn sie erfuhr, wer die Zielperson war. Er fand keine Antwort. Sieben Jahre waren sie ein Paar gewesen, sie hatten das Bett geteilt und auch alles andere. Dennoch konnte er ihre Reaktion einfach nicht voraussagen. Das beunruhigte ihn.
Er fuhr sich übers Gesicht.
Es war so lange her. So viele Jahre.
Und nun kam alles wieder, all die alten Geschichten. Plötzlich waren sie wieder präsent, wie Gespenster, die sich in Fleisch und Blut materialisierten.
9
Südlibanesische Sicherheitszone | Februar 1992
„Lass mich mal“, forderte Rafiq.
Nikolaj reichte ihm den Feldstecher.
Rafiq schob sich ein paar Zentimeter hangaufwärts. Er suchte den Befehlsposten unten an der Straße, stellte das Bild scharf.
„Drei“, murmelte er, „vier, fünf. Und die beiden, die gerade losgefahren sind. Plus Mordechai.“
Viktor Mordechai war der kommandierende Offizier. Er war das Ziel, er stand auf der Liste. Vor ein paar Wochen war an seinem Checkpoint ein Bus mit Palästinensern gestoppt worden. Es hatte ein Dutzend Tote und um die zwanzig Verletzte gegeben.
Das Oberkommando in Damaskus hatte daraufhin die Anweisung für einen Vergeltungsschlag gegeben. Viktor Mordechai, der verantwortliche Offizier, sollte sterben. Sie hatten gehofft, ihn auf einer Patrouillenfahrt zu erwischen, aber er hielt sich praktisch ununterbrochen in seiner Baracke auf.
„Acht Mann“, bestätigte Nikolaj.
Schwach wehte Tabakgeruch herüber. Rafiq setzte das Fernglas ab und drehte sich um. Weiter unten saßen Carmen und Khamal und rauchten.
„Bist du sicher, dass wir das durchziehen wollen?“, fragte Rafiq.
Nikolaj stand auf und klopfte sich den Staub von den Hosenbeinen. Rafiq gab ihm den Feldstecher zurück. Halb stolpernd, halb rutschend liefen sie den kleinen Abhang hinunter. Nikolaj suchte in seinen Hosentaschen nach den Zigaretten und hielt Rafiq die Packung hin.
Carmen gab ihnen Feuer. „Was ist jetzt?“, fragte sie.
„Wir
Weitere Kostenlose Bücher