Das dunkle Haus: Kriminalroman (Ein Erik-Winter-Krimi) (German Edition)
fuhr wieder an, er gewahrte eine Gestalt, als die Straßenbahn kam, sie stand noch da, als die Bahn weiterfuhr, ein Gesicht wandte sich ihm zu, es konnte Zufall sein, es war kein Zufall, die Gestalt begann wegzulaufen, sah sich einmal um, lief in Richtung Markthalle, lief, lief. Winter stand regungslos da, wie festgefroren, er verfolgte den rennenden Mörder mit dem Blick, der Abstand war zu groß, um zu schießen, Unbeteiligte könnten verletzt werden, aber daran dachte er nicht, er dachte an die Boots, in denen die laufenden Füße steckten, es waren dieselben Boots, die Boots, die Angela kommentiert hatte, sie passen nicht zu einem Weihnachtsmannkostüm, hatte sie gesagt, und sie hatte recht, jetzt lag das Kostüm im Zimmer hinter ihm und unten liefen die Boots, lief die schwarz gekleidete Gestalt die Allén entlang, ohne sich umzusehen, von links näherte sich eine Straßenbahn mit ihren zehntausend Tonnen Gewicht und stürzte sich auf den Körper, der rennend die Straße überqueren wollte, um sich auf der anderen Seite in Sicherheit zu bringen, und Winter sah, wie der entkleidete Weihnachtsmann abgeworfen wurde, nachdem er zwanzig Meter mitgeschleift worden war, ohne Fahrkarte, und jetzt vor das Biest geschleudert und überfahren wurde, wie er unter kreischendem Blech und Eisen verschwand.
Nie mehr ein böses Wort über Straßenbahnen, war Winters erster Gedanke.
Er stand immer noch auf dem Balkon. Er meinte etwas zu hören, ein Rufen, drehte den Kopf und sah Angela mit den Kindern von der Imbissbude am Vasaplatsen kommen, sie winkte, die Mädchen winkten, er winkte, er fühlte sich so von Gefühlen überwältigt, dass er sicherheitshalber einige Schritte vom Balkongeländer zurücktrat, sonst wäre er hinuntergesprungen, zu ihnen hinuntergeflogen, hätte sie umarmt, ihre Namen gerufen, so wie sie jetzt seinen Namen riefen.
Später, als sie jeder mit einer Tasse mit dem stärksten Grog der Welt dasaßen, würde Angela erzählen, wie sie die Kinder angezogen hatte, nachdem er gegangen war. Sie hatte nicht gewagt, zu Hause zu bleiben, es war, als ob eine Stimme zu ihr spräche, sie spazierten zur Markthalle und kauften deutsches Sauerteigbrot und saßen dann in einem Café und lasen und spielten Spiele und sahen sich alle Weihnachtsmänner an, die in der Stadt herumliefen. Sie musterte die Schuhe der Weihnachtsmänner. Sie gingen ins Kaufhaus NK und betrachteten die Weihnachtsangebote. Wir hatten einen schönen Vormittag, würde sie sagen.
Auf dem Heimweg hatte sie beschlossen, zum Universitätspark zu gehen. Von der anderen Seite des Vasaplatsen sah sie, wie ein Weihnachtsmann ihr Haus betrat. »Aua, du hältst mich zu fest!«, hatte Elsa gejammert. Angela behauptete, sich kaum noch daran zu erinnern, was anschließend passiert war. Sie ging mit den Kindern weiter in den Park und versuchte, ihn anzurufen. Aber sein Handy war besetzt. Sie hatte den Tod in ihr Haus gehen sehen. »Und dann habe ich dich auf dem Balkon entdeckt«, würde sie sagen.
Jetzt war er zurück in dem Zimmer des Hospizes in einer Straße, deren Namen er nicht kannte. Die Erinnerung bedeckte seinen Körper wie kalter Schweiß, die schwarze, widerwärtige Erinnerung an den Tod, der in sein Leben eingebrochen war.
Kinder waren darin verwickelt gewesen. Wenn Kinder betroffen waren, geschah etwas in seinem Innern, etwas, das über das Menschliche hinausging, sein Körper reagierte.
In Gedanken war er in dem Haus am Meer, nahe der Insel, das Haus am Fuß des kleinen Berges, das Haus, das nachts verlassen dastand, immer verlassen dastehen würde, und sehr bald würde er dort stehen, ein letztes Mal, er würde nicht allein sein, und es würde etwas Entsetzliches geschehen.
29
Im Lauf des Vormittags versank Siv Winter in Bewusstlosigkeit, zum letzten Mal. Er hielt ihre Hand und meinte, einen letzten leichten Druck zu spüren, und sicher täuschte er sich nicht. Das Fenster stand einen Spalt offen zum Leben in der Sonne dort draußen, so hatte sie es sich gewünscht, ein Auto fuhr mit hoher Motordrehzahl vorbei, es klang, als käme es von weit her und würde auch noch sehr weit fahren, in die Berge hinauf, vorbei an dem Haus mit den drei Palmen. Sie hörte auf zu atmen, er sah es, konnte es kaum hören. Er empfand Trauer, eine stille Trauer. Für die Kinder würde es schlimmer sein, war vielleicht sogar schlimmer für Angela als für ihn.
»Jetzt darf sie bei Bengt ruhen«, sagte er.
»Ja«, sagte Angela. »Alles wird gut.«
»Es wird sehr
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