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Das dunkle Labyrinth: Roman

Das dunkle Labyrinth: Roman

Titel: Das dunkle Labyrinth: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Geräusch der Stiefel auf Stein erstarb abrupt, als der Mann in einen Schlickhaufen trat. Jetzt gab es nichts als den Schatten und das Tropfen von Wasser.
    Mit einem Zischen holte Scuff Luft und klammerte sich weiter mit aller Kraft an Monk.
    Nur sechs Meter vor ihnen tauchte ein Mann an der Ecke auf. Er ging noch zwei, drei Meter weiter, bis er begriff, dass Monks und Scuffs Schatten an der Wand von Menschen und nicht von aufgehäuftem Dreck stammten. Er erstarrte. Der Schein seiner Lampe, die er ruhig in der Hand hielt, fiel von unten auf sein Gesicht, das aussah wie eine durchfurchte gelbe Maske. Er war dünn, sein zotteliges Haar fiel ihm auf die Schultern. Seine dichten schwarzen Augenbrauen zogen sich wie Balken quer über das Gesicht. Er hatte eine lange, schmale Nase mit weit geblähten Nasenflügeln, ein spitzes Kinn und einen breiten, schmallippigen Mund. Überraschenderweise verrieten seine Augen Intelligenz, ja, sogar Humor.
    Langsam, sehr langsam verzog er den Mund zu einem Lächeln, und Monk sah die spitzen, übergroßen Eckzähne, der linke Zahn größer als der rechte. Monk stand regungslos da, während sich dieses Bild unauslöschlich in sein Bewusstsein brannte.
    Dann fuhr der Mann mit verblüffender Schnelligkeit herum und jagte davon.
    Mit einem Schlag kam Leben in Monk. Er riss die Abdeckung von der Lampe und stürzte, ohne Scuffs Hand loszulassen, durch Schlick und Wasser dem Mann hinterher. Als er merkte, dass Scuff mühelos mithielt, ließ er ihn los. Der Mann vor ihnen war gezwungen, mit der Laterne den Weg zu beleuchten, während er heftig mit den Armen rudernd voranpatschte, sodass sein riesiger Schatten an der Decke und den Wänden groteske Bewegungen vollführte. Gleichzeitig zuckte das gelbe Licht über den glänzenden schwarzen Schleim an den Wänden und das verschlammte Wasser am Boden.
    Als er um eine Kurve bog, herrschte plötzlich völlige Dunkelheit. Scuff war so dicht hinter Monk, dass er auf ihn auflief.
    Mit einem Schlag erkannte Monk, wie nass er war. Seine Beine waren taub vor Kälte, doch sein Oberkörper war schweißnass. Er spürte förmlich, wie ihm der Schweiß über Rücken und Brust rann.
    Weiter vorn hörten sie etwas, ein Spritzen. Monk fuhr herum. Das war der richtige Tunnel.
    »Ratten!«, flüsterte Scuff heiser. »Er hat Ratten aufgeschreckt. Los!« Und ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte er durchs Wasser vorwärts.
    Monk wollte »Halt!« schreien, überlegte es sich aber schnell anders. Es gäbe nur ein ohrenbetäubendes Echo. Er hatte keine Ahnung, wie viel Vorsprung der Mörder hatte. Vielleicht nur ein paar Meter. So stolperte er hinter Scuff her. In der matten Reflektion des Lichts auf dem Wasser wirkte Scuffs kleiner Körper wie ein merkwürdig in die Länge gezerrtes Wesen, das mit ruckartigen, schwankenden Bewegungen vorwärtshastete.
    Vorn schien wieder Licht, hell und ungeschützt. Monk sah, wie der Mörder sich mit erhobenem Arm zu ihnen umdrehte. Dann ein scharfes Knallen und eine kleine Stichflamme. Scuff stieß einen Schrei aus, sackte in sich zusammen und blieb gekrümmt im Wasser liegen.
    Monk machte einen Satz nach vorn und zog im Springen die Pistole aus der Tasche. Ein ums andere Mal schoss er hinter der fliehenden Gestalt her, selbst dann noch, als sie verschwunden war und außer der eigenen Lampe kein Licht mehr in dieser alles erstickenden Finsternis brannte.
    Er steckte die Waffe ein und leuchtete das widerwärtig schmutzige Wasser ab. Die Strömung musste den kleinen Scuff bereits erfasst und fortgetragen haben. Er entdeckte den von Schmutzwasser umspülten Jungen, verlor ihn aus den Augen und fand ihn wieder. Er eilte zu ihm hin, beugte sich unbeholfen über ihn – mit einer Hand musste er weiterhin die Laterne halten, weil es keine Abstellmöglichkeit gab – und zog die regungslos daliegende Gestalt hoch. Scuffs durchnässtes Gesicht war kreideweiß. Blitzartig durchzuckte Monk die traurige Erinnerung an Mary Havilland. Scuffs Gesicht wirkte noch schmaler und kleiner als sonst. Die Haut war um Augen und Mund herum bläulich angelaufen. Gott sei Dank atmete er, obwohl Blut aus seinen Kleidern quoll und sie an der Schulter und der Brust dunkelrot verfärbte.
    Der Mörder konnte nicht weit von ihnen entfernt sein, aber Monk kam nicht auf die Idee, Scuff liegen zu lassen und ihn zu verfolgen. Mühsam hob er Scuff mit dem freien Arm hoch, drückte ihn behutsam an sich und begann den langen Rückweg. Dabei hielt er sich in der Mitte der

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