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Das dunkle Lied des Todes

Das dunkle Lied des Todes

Titel: Das dunkle Lied des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bjarne Reuter
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denn?«
    »Das lag in JBs Überraschungsei.«
    »Er isst zu viele davon.« Betty faltete die Servietten zusammen.
    »Ja«, murmelte Eva und musterte die Plastikfigur, die eine schwarze Windmühle darstellte.

6
    Wir hatten übrigens beschlossen, nach dieser Reise unseren Sohn aus der Klasse zu nehmen, wir waren alles andere als zufrieden mit der Lehrerin.
    K.   Malbeck, Vater
     
    Später an diesem Abend war das Haus zur Ruhe gekommen. Das galt jedenfalls für die Bewohner, die sich in ihre Zimmer verzogen oder in kleinen Gruppen herumalberten, zu aufgedreht, um zu Bett zu gehen, und zu müde, um Lärm zu machen.
    Eva musterte Lars Bromsen, der gerade einen neuen Verband um seinen Zeigefinger wickelte.
    »Interessante Wunde«, sagte er. »Hört nicht auf zu bluten. Aber jetzt habe ich in drei Rollen Gaze investiert, bei meinem alten Freund, dem finnischen Kaufmann.«
    »Ist dir das auch aufgefallen? Er spricht halbwegs Finnisch.«
    »Er ist Finne. Und ziemlich wunderlich. Das Wunderlichste ist, dass sein elender Laden alles hat. Tineke hat einen Sonnenschirm gekauft.«
    »Einen was?«
    »Ganz richtig, sie hat einen gelben Sonnenschirm gekauft, um sich keinen Sonnenbrand zu holen. Und alsVibe fragte, ob er Nivea-Feuchtigkeitscreme hat, bitte sehr, schon lag sie da. Ich habe sogar meine Gaze bekommen. Ich muss sicher morgen wieder hin, es blutet schon wieder durch.«
    Bromsen unterbrach sich und rief:
    »Johan und Filip, könnt ihr wohl ein bisschen leiser sein?«
    »Aber wir kriegen unsere Münze nicht raus.«
    Eva stand auf und ging hinaus in die Halle.
    Die beiden hatten sich die Negerfigur geholt. Johan hielt einen Schraubenzieher in der Hand.
    »Was macht ihr da?«
    »Ich will nur meinen Zehner zurück. Wirklich eine seltsame Figur.«
    »Die heißt Jolly Nigger Bank und du machst sie ja nicht kaputt. Hast du deine Münze?«
    »Ja, wir haben das Teil auseinandergenommen, unten sitzt eine Schraube. Und drinnen lagen zwei Zehner.«
    Eva streckte die Hand aus.
    »Danke, die andere gehört mir, und das hier ist übrigens eine alte Missionsspardose aus Afrika.«
    Johan legte ein gelbes Stück Papier neben die Figur.
    »Das lag unten drin, zusammen mit meinem Zehner.«
    Eva nahm den Zettel, der sich als handgeschriebene Namensliste entpuppte. Filip fragte, was darauf stehe.
    »Nichts.«
    »Nichts?«
    »Nein, das ist nur eine Art Verzeichnis. Vielleicht einePassagierliste. Ich lege es wieder zurück, es gehört ja zum Haus, und ihr geht rauf und sagt Franz, dass jetzt Schlafenszeit ist. Also ihr zwei, ab mit euch. Und ihr lasst die Jolly Nigger Bank von jetzt an in Ruhe. Gute Nacht!«
     
    Es ist nach Mitternacht.
    Eva steht am Waschbecken und schaut aus dem Fenster. Sagt sich, dass Kinder als Nachtmenschen geboren werden. Das letzte hat gerade das Licht ausgemacht. Sie stellt sich vor, wie sie in ihren Betten liegen, die offenen, entspannten Gesichter, die kindlichen Züge, die sich zeigen, wenn sie schlafen. Sie sieht auch Bromsen vor sich. Er atmet schwer. Sein linker Arm ist nackt. Die Hand hängt über dem Boden. Das Blut tropft stetig und rhythmisch aus der Wunde und malt dunkelrote Flecken auf den hellen Teppich.
    Aber Eva ist das egal. Sie denkt an Namen. Hat nur Namen im Kopf.
    »Ich kann sie auswendig«, sagt sie. »Aber warum habe ich sie auswendig gelernt? Weil ich sie eine Stunde lang angestarrt habe.   – Aber warum opfere ich meinen Schlaf für einen Zettel, der mich überhaupt nichts angeht?«
    Weil das Papier mich darum gebeten hat.
    »Was für ein Unsinn, Papier bittet nicht.«
    Auf dem Nachttisch liegen die Lesebrille, ein Kreuzworträtselheft und ein Buch über den Gormsbyer Dom. Sowie eine kleine Plastikfigur, die eine Windmühle darstellt.
    Eva schließt die Augen und flüstert:
    »Ich bin blind und taub, ich kann weder addieren noch subtrahieren. Ich sitze auf meinem Bett und mache mich bereit zum Schlafen. Ich reinige mein Gemüt, so, wie man seine Haut reinigt, ehe man schlafen geht. Alle Gedanken verlassen meinen Kopf. Wenn ich jemand wäre, der ein Abendgebet spricht, dann würde ich beten, dass alle schwarzen Gedanken mein Gemüt verlassen sollen, aber ich spreche kein Abendgebet, sondern sitze mit geschlossenen Augen im Bett und strecke die Hand nach meiner Brille aus und kehre zum hundertsiebzehnten Mal zu dem gelben Zettel mit den Namen zurück, die ich in zufälliger Reihenfolge aufsage:
     
    Max Savannah
    Edward Savannah
    Lærke Friis-Hansen
    Ann-Sofie Friis-Hansen
    Gudrun

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