Das dunkle Lied des Todes
Schiøler
Frederik Schiøler
Amalie Schiøler
die Schwarze Limbo
Kapitän Barret
Steuermann Flint
Koch Per
Bootsmann Mortensen
Schiffszimmerer Laust
»Man braucht ein Glas Rotwein. Man tut sich selbst leid und man braucht ein Glas Wein.«
Sie zieht die Decke hoch, dreht das Gesicht zur Wand und denkt den Gedanken zu Ende. Über das Vernünftige darin, den Motor anzulassen und in die Nacht hinauszufahren, einzig und allein wegen einer Flasche Wein, wenn man sicher wüsste, dass es einen Ort in dieser Einöde gibt, wo man einen ordentlichen Valpolicella bekommen kann. Aber man bleibt im Bett, denn mit diesem Problem ist man fertig. Null Alkohol. Fünf trockene Monate. Fünf Monate mit Schmerzen. Und jetzt zittern die Hände nicht mehr und der Magen arbeitet wieder normal.
»Sogar meine Haare glänzen wieder.«
Sie schaltet die Nachttischlampe ein und legt den Zettel auf den Tisch. Den Zettel aus der Jolly Nigger Bank. Sie sagt sich, sie wisse doch sehr wohl, wer diese Menschen sind. Denn auf der Rückseite steht in geraden, halbwegs verwischten Buchstaben: Die Bark Pemba, 21. Februar 1934.
Das ist an sich harmlos, aber sie stören ihre Nachtruhe: die Namen der Schiffbrüchigen. Max und Edward, die Besatzung und die übrigen Passagiere. Das Schiff geht mit Mann und Maus unter. Nur die leblosen Dinge kommen nach Hause.
Eva sieht sie vor sich: den Koch Per, den Bootsmann Mortensen, den Schiffszimmerer, der Laust heißt, und die junge Frau, die die Schwarze Limbo genannt wird. Siestehen an der Reling und starren Afrikas Ostküste an, als sie mit Kurs auf das Kap der Guten Hoffnung durch den Indischen Ozean segeln. Im Jahr des Herrn 1934.
Eva schließt die Augen und spürt fast, wie das Schiff sich wiegt, nimmt den Wind wahr, das Geräusch der Wellen, die gegen den Steven schlagen, das geheimnisvolle Leben des Kiels, die vielen Faden Wasser. Den Geruch von Hanf und Teer. Das Geräusch von Wind und Segeln. Sie waren dreizehn an Bord.
»Dreizehn, wie wir. Na und?«
Es hat doch überhaupt keine Bedeutung. Es sei denn, man geht einen Schritt weiter und zählt Frauen und Männer.
Niemals hätte sie so gedacht, wenn nicht Bromsen gewesen wäre, genauer gesagt, was er über den Kaufmann in Burgsvig gesagt hat.
Denn was hatte der Mann getan?
Er hatte sie gezählt.
Warum hatte er sie gezählt? Es ist doch Unsinn, seine Kunden zu zählen. Aber es passte zu der Tatsache, dass sich auch die alte Dame dafür interessiert hatte.
Das, was Eva vergessen hatte, was vergraben worden war, war endlich aufgetaucht: der sinnlose Dialog über Anzahl und Geschlechterverteilung.
Sie ist eben eingetroffen, sie stehen in dem kleinen Mansardenzimmer. Eva und die alte Dame. Das Gespräch handelt von den Schülern, die Eva als musikalisch und verwöhnt bezeichnet.
»Ich finde es spannend, dass so viele Kinder herkommen. Wie viele sind in der Klasse?«
»Elf«, antwortet Eva.
»Wirklich? Wie viele Mädchen und wie viele Jungen?«
»Wir sind vier Mädchen und sieben Jungen. Und ein Lehrer und eine Lehrerin. Fünf Frauen und acht Männer.«
Eva starrte die Decke an.
»Das ergibt doch keinen Sinn«, flüsterte sie. »Falls die Leute in Burgsvig nicht knatschverrückt sind. Vielleicht langweilen sie sich. Sie haben nichts anderes zu tun, als Leute zu zählen, und das ist eine Beschäftigung mit demselben Nährwert wie das Notieren von Nummernschildern.«
Sie schaltete das Licht aus und tat, was sie immer tat, wenn sie nicht schlafen konnte. Nämlich Choräle rezitieren.
»Gott sei Dank für die Nachtruhe, für Schlaf und frischen Mut, Gott sei Dank für den Christenglauben und Sein Licht, das in uns ruht.«
Aber das half nichts. Die Wörter wirbelten immer wieder durch ihren Kopf. Sie schwang die Beine aus dem Bett, öffnete das Fenster, steckte sich eine Zigarette an und lauschte den Wellen, während sie sich sagte, der Zufall sei ein Umstand, den man nicht unterschätzen sollte. Denn auf der Pemba waren auch fünf Frauen und acht Männer gewesen.
»Geht mich das etwas an? Nein, das geht mich nichts an. Also schmeiß den Zettel weg. Nein, ich will den Zettel nicht wegschmeißen. Also leg ihn wieder in diese verdammte nervige Sammelbüchse.
Nein, ich will nicht.
Warum nicht?
Weil sie draußen ist!«
Sie drückte die Zigarette aus, schloss das Fenster, setzte sich aufs Bett und sagte laut:
»Lærke Friis-Hansen. Schöner Name. Klingt ein wenig wie Vibe Kragh Andersen. Lærke und Vibe, Vogelnamen, Lerche und
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