Das dunkle Lied des Todes
deinen Finger.«
»Eva, zum Henker, worüber reden wir hier eigentlich? Ist das irgendein Spiel, das ihr euch ausgedacht habt?«
»Wer wir?«
»Ja, du und die Klasse.«
»Oder ich und das Haus. Wer weiß?«
Eva sah, wie Betty Vanessa durch den Regen bugsierte, gefolgt von Gustav, Filip und Franz.
Gleich darauf saßen sie alle im Bus.
Der Einkauf war beendet.
Bromsen hatte seine Gaze.
Vanessa ihren Kamillentee.
Vibe ihr Shampoo und Julius Blumendorph seine Tagesration Vitamin B, verkleidet als Schaumbananen.
Hier draußen auf offener See, wo Gottes Himmel und der ferne Horizont sich in blauen Nebeln verlieren, hier draußen fühlt man sich gebunden und frei zugleich. Vielleicht, weil wir einen so großen Teil unseres Lebens hinter uns gelassen haben und kaum wissen, wohin wir heimkehren werden. Ich verspüre eine tägliche Rastlosigkeit, eine Unruhe und Angst, die daher rührt, dass wir den Elementen preisgegeben sind.
Ich denke daran, dass Maupassant gesagt hat, die Reise sei eine Tür, durch die man aus der bekannten Wirklichkeit heraus und hinein in eine andere geht.
Wir haben Krankheit an Bord. Fräulein Amalies Seekrankheit
will sie nicht verlassen, und wir machen uns Vorwürfe, weil wir
ohne einen Arzt an Bord losgefahren sind. Was aber noch
mehr Besorgnis erregt, ist die Unruhe unter der Mannschaft.
So viel hängt von der Arbeit dieser Männer ab, und das hat
ihnen einen neuen Status gegeben, den sie ausnutzen.
Der Kapitän macht Koch und Bootsmann keine Vorwürfe
mehr wegen ihres Trinkens. Sie widersprechen Steuermann
Flint und er ist nicht stark genug, sie in ihre Schranken zu
weisen. Der Bootsmann hat außerdem einen Widerwillen
gegen Frau Schiøler entwickelt und spricht sehr grob mit ihr.
Am meisten hat die schwarze Miss Limbo darunter zu leiden,
die sich ansonsten um das kleine Fräulein Amalie kümmert.
Die Mannschaft behauptet, Miss Limbo bringe Unglück
über das Schiff, und wir haben wirklich entweder Windstille
gehabt oder wurden von dem unberechenbaren Monsun
umhergeworfen, der die Menschen wirr im Kopf macht. Vor
allem wirkt der Missionar verstört. Mein Bruder sagt, er leide unter argen Stimmungsschwankungen. Er hat sich jedenfalls
mit Zimmerer Laust angefreundet. Die beiden sind ein seltsames Paar. Es fing an, als die ansonsten so harmlose
Wunde des Missionars nicht heilen wollte. Sie nässte immer
weiter und der Kapitän runzelte die Stirn. Aber dann stellte der Zimmerer einen Sud her und machte damit einen
Umschlag um Frederik Schiølers Zeh. Drei Tage vergingen
und schon fing die Wunde an zu heilen. Schon hatte sich in
den Ecken das Gespenst des Kalten Brandes geregt. Nach
dieser Episode wurden die ansonsten so unterschiedlichen Männer gute Freunde.
Zum Glück ist Kapitän Barret ein phlegmatischer Mann.
Stark auf seine eigene Weise, aber das eher im Stillen.
Und im Laufe dieser Wochen sind wir wirklich im selben
Boot gelandet.
Die Schwestern Friis-Hansen haben allerlei über das Leben an Deck gelernt. Verschwunden sind die gelben Sonnenschirme und die rosa Kleider. Die Ärmel werden hochgekrempelt, das Haar kräuselt sich in der Hitze und die früher elfenbeinfarbenen Wangen sind gebräunt von der erbarmungslosen Sonne des Äquators.
Die Stärkste ist sicher die schwarze Miss Limbo, die als
Letzte die Rah verlässt, wenn der Sturm tobt. Vielleicht ist es
gerade diese Stärke, die die Mannschaft so erbost.
8
Ich hatte ihn noch nie im Laden gesehen. Er kannte sich nicht aus mit Wein, und der Rhonewein, den er gekauft hat, war ein Sonderangebot.
E. Sørensen, Weinhändler
Als sie die Augen aufschlug, hatte sie das Gefühl, kaum geschlafen zu haben. Sie war hellwach, sowie ihr Blick auf die Dunkelheit auftraf. In der sich zwei Gestalten befanden. Ihre Umrisse zeichneten sich als vier graue Striche vor dem Spind ab, und sie erfüllten sie mit einer Angst, die wie ein Pfropfen in ihrer Kehle saß, aber erst als die eine Gestalt sich aus der Dunkelheit löste und vorbeugte, kam sie auf die Idee, Licht zu machen.
Sie standen dicht nebeneinander in ihren hellen Nachthemden da. Ohne stark getuschte Wimpern und perfekt gezogenen Lidstrich sahen sie wie das aus, was sie waren, nämlich zwei verängstigte Mädchen.
Eva setzte sich auf.
»Was ist los, Tineke?«
Sie ließen sich auf das Bett fallen.
»Wir wollten unten in der Küche einen Tee kochen.«
Vibes Augen jagten umher.
Eva bat sie zu warten und griff instinktiv nach ihrenZigaretten, überlegte sich die
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