Das dunkle Lied des Todes
sehen noch dazu für einen Moment den Besitzer, der vor seinem Laden steht und die Vorbeifahrenden anglotzt.
Wir lieben die Stürme, die brausenden Wogen, der eiskalten Winde raues Gesicht …
Wie immer sangen sie sehr schön. Fast zu schön, um wahr zu sein. Sie schafften es sogar, Moll und Dur zu tauschen, sodass die ursprüngliche Melodie eine schräge neue Dimension bekam.
Eva starrte Kelbergs karierte Schirmmütze an. Immer trug er diese Mütze, auch heute, wo es schon über zwanzig Grad waren. Zum ersten Mal in ihren zwei Jahren an der Mozartschule war Eva froh über den Anblick der karierten Schirmmütze, genauer gesagt, des Mannes, der sie trug. Willy Kelberg war nämlich allen Anforderungen im Leben so wenig gewachsen, dass er für Pemba einen Hemmschuh bedeuten würde. Er war berühmt für seine niemals versagende Fähigkeit, durch seinen bloßen Anblick eine muntere Gesellschaft in tiefe Depression zu bringen. Es fehlte nicht an Beispielen für Schulfeste, an denen er mit einer zehn Minuten langen Festrede so vielLuft aus dem Ballon gelassen hatte, dass die meisten schon verschwunden waren, ehe er den Ball für eröffnet erklärte. Kelbergs fehlendes Timing war allseits bekannt, er war der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen, und jetzt war die Zeit gekommen, in der dieses alles zerstörende Talent sich im endgültigen Zweikampf der Giganten beweisen sollte: Kelberg gegen Pemba.
Das Museum lag in der Altstadt und war ein umgebauter Hof mit zwei Flügeln, Strohdach und Fachwerk, mit insgesamt acht Räumen, in denen eine Sammlung historischer Fundstücke, eine Bibliothek, eine Cafeteria und eine Touristeninformation untergebracht waren. Sie hätten die Sache kurz abhaken können, wenn nicht alle Schüler am Eingang eine Aufgabe erhalten hätten. Wenn das Museum einen Ruf genoss, der über die Gemeindegrenzen hinausreichte, dann wegen der Funde aus der Eisenzeit, die in großen und kleinen Schaukästen lagen. Ein gut erhaltenes Wams, ein Gürtel und ein Schmuckstück aus Bernstein waren das Herz der Ausstellung.
Eva ging zusammen mit Julius, Tineke und Vibe, denen es immer schon am schwersten gefallen war, sich auf Geschichte zu konzentrieren.
Franz, Gustav, Johan und Filip hatte sie Kelberg überlassen, da sie fand, die hätten sich gegenseitig verdient. Was der Schulleiter über die frühe Bronzezeit wusste, hatte Platz auf einer Briefmarke, und das gab ihm dieMöglichkeit, über sein Lieblingsthema zu sprechen, nämlich über sich und über das Messer aus Feuerstein, das er mit zwölf Jahren gefunden hatte.
Bromsen juxte mit den anderen herum und alles verlief in einer entspannten, leicht apathischen Atmosphäre und endete dort, wo die Klasse die ganze Zeit hingewollt hatte, nämlich in der Cafeteria.
Da saßen sie dann in Reih und Glied und nahmen Würstchen und Kakao zu sich und hörten Kelbergs Anekdoten aus seiner Schulzeit zu, die niemand komisch fand.
Eva entdeckte Anders, Thomas und Betty im Leseraum der kleinen Bibliothek, wo sie vor einem Buch mit Ledereinband und dem Titel
Menschen aus Burgsvig
saßen.
Betty blickte auf, als Eva hereinkam.
»Hallo, Eva.«
»Wo steckt ihr denn, wir sitzen in der Cafeteria und warten auf euch.«
»Du musst dir das hier ansehen«, Betty machte Platz und Eva konnte sich setzen. »Hier steht etwas über die Bewohner von Burgsvig, etwa über einen Bauern, der beim Orkan 1937 sein gesamtes Vermögen verloren und später in Gormsby eine Käserei gegründet hat.«
»Wie fahren in einer halben Stunde, Betty. Wenn ihr etwas essen wollt, dann müsst ihr jetzt kommen.«
Anders schaute vom Buch auf.
»Da ist auch ein Bild von Savannah.«
Eva zog die Brille aus der Tasche und schaute ins Buch, wo ein undeutliches Foto einen nicht mehr jungen MaxSavannah zu Pferd auf seiner Plantage zeigte. Er trug ein kurzärmliges weißes Hemd, eine Reithose und hohe Stiefel. Wenn man genauer hinblickte, dann hatte das Foto etwas Dreidimensionales. Einen seltsamen Effekt, der Mann und Pferd aus dem Bild hervortreten ließ. Obwohl der Reiter eine Sonnenbrille trug, schaute er die Betrachterin direkt an.
Eva sagte es laut: »Eine imposante Erscheinung.«
»Da steht auch etwas über das Schiff«, sagte Thomas. »Da steht, dass es mit Mann und Maus untergegangen ist.«
Anders beugte sich vor. »Man muss ihn einfach ansehen. Er saugt einen zu sich.«
»Das wissen wir doch schon alles.«
Anders ließ sich zurücksinken.
»Wenn wir das richtig verstanden haben,
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