Das dunkle Netz der Lügen
wenn Lina sich um seine Schwiegermutter kümmerte. Er hatte die Beerdigung noch einmal verschoben, damit Henriette Kortmann aus Erfurt herkommen konnte.
Lina wartete mit Dietrich und der Kutsche am Bahnhof auf den Abendzug. Sie fragte sich, was für eine Dame wohl aus dem Zug steigen würde, und war erstaunt, als eine kleine, runde und einfach gekleidete Frau vor ihr stand.
«Sie müssen Frau Kortmann sein, mein herzliches Beileid.» Lina gab der etwas überrascht wirkenden Dame die Hand. «Ich bin Lina Borghoff, eine Freundin Ihres Schwiegersohns. Er kann sich leider nicht selbst um Sie kümmern, ich werde Ihnen das später erklären.»
Dietrich hatte die große Reisetasche genommen und war schon vorausgelaufen zur Kutsche. Zusammen mit Frau Kortmann ging Lina ihm hinterher. Den kurzen Weg zur Harmoniestraße über sprachen sie kein Wort.
«Dies ist mein Haus», erklärte Lina, als Dietrich ihnen aus der Kutsche geholfen hatte. «Sie können gerne mein Gast sein,aber wenn es Ihnen nicht komfortabel genug ist, kann ich Sie auch in unserem Hotel unterbringen.»
«Ich dachte, ich wohne bei Herrn von Sannberg?», sagte Frau Kortmann. Sie schien verwirrt.
«Das Haus ist noch von der Polizei gesperrt. Und Cornelius … der Baron von Sannberg … Aber bitte, kommen Sie erst einmal herein, da können wir besser reden.»
Sie bat Dietrich, die Tasche in eines der Dachzimmer zu bringen, die sie noch nicht vermietet hatte, und führte Frau Kortmann in den Salon. Antonie brachte Tee, und Lina schenkte noch vorsorglich einen Cognac ein.
Dann erzählte sie Henriette Kortmann, was passiert war.
«Mein Schwiegersohn hat also Elise …» Sie brach ab und begann herzzerreißend zu weinen.
«Alles deutet darauf hin», sagte Lina. «Aber keiner, der Cornelius kennt, kann sich vorstellen, dass er das wirklich getan hat. Ferdinand Weigel hat ihn allerdings schwer belastet …»
«Ferdinand? Ist er hier?»
«Ja, das ist er. Er wohnt sogar hier in meinem Haus, ich habe ihm ein Zimmer vermietet.»
«Der gute Junge.» Dankbar nahm Henriette das Taschentuch, das Lina ihr hinhielt. «Er und Elise waren immer unzertrennlich. Sie hätten heiraten sollen. Aber Elise wollte ja immer hoch hinaus.»
Sie schnäuzte sich kräftig die Nase. «Ihr Vater war ein kleiner städtischer Beamter, ein Schreiber. Und Ferdinand hätte es mindestens auch so weit gebracht. Aber das reichte ihr einfach nicht.»
«Wussten Sie, dass Herr Weigel Ihrer Tochter überallhin gefolgt ist?»
«Ja. Das war ein großer Trost für sie.» Henriette griff nach dem Cognac und kippte ihn mit einem Schluck herunter. «Auf ihn konnte sie sich immer verlassen.»
In diesem Moment klopfte es an die Tür des Salons, und Ferdinand Weigel kam herein. «Ich hörte, dass Frau Kortmann …»
Henriette Kortmann sah Weigel, sprang auf und stürzte auf ihn zu. Sie begrüßten sich mit einer Umarmung, und dann flossen bei Frau Kortmann auch schon wieder die Tränen. «Ferdi, mein Mädchen ist tot!», rief sie aus. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
«Setz dich doch, Tante Henriette», sagte er schließlich.
Lina, die sich die ganze Zeit dezent zurückgehalten hatte, fragte: «Frau Kortmann, Sie sind sicher hungrig nach der langen Reise, darf Ihnen noch etwas Sauerkraut anbieten?»
«Ja, gern.»
«Und Sie, Herr Weigel?»
«Für mich auch, bitte.»
Lina verließ den Raum, um Antonie aufzutragen, das Sauerkraut aufzuwärmen. Dann dachte sie aber daran, dass das Dienstmädchen, obwohl es inzwischen recht gut kochte, immer noch mit Speisen, die leicht anbrennen konnten, auf dem Kriegsfuß stand, und beschloss, es lieber selbst zu machen – auch, um Elises Mutter ein wenig Zeit allein mit Ferdinand Weigel zu geben.
Als sie mit den zwei gefüllten Tellern wieder an die angelehnte Salontür kam, hörte sie, wie Weigel gerade sagte: «Er wird nicht davonkommen. Heute hat man auch noch Elises Schmuck gefunden, da wird er sich nicht mehr herauswinden können.»
«Frau Borghoff sagte, dass sie nicht glaubt, dass er es getan hat», wandte Henriette ein.
«Die Familien sind befreundet, sie ist voreingenommen. Glaub mir, er war es. Wer hätte es sonst sein können?»
«Vielleicht die Diebe, die halb Ruhrort ausgeraubt haben!», sagte Lina, als sie die Teller auf den Tisch stellte.
«Die hätten den Schmuck bestimmt nicht hinter der Wandverkleidung im Herrenzimmer versteckt.»
Das hatte sich ja schnell in Ruhrort herumgesprochen, und
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