Das dunkle Netz der Lügen
Spaß miteinander haben.»
Für die vielen Personen, die inzwischen im Hause Borghoff frühstückten, war längst nicht mehr genug Platz in der Küche. Aaltjes Kinder hatten sie deswegen in Linas kleinem Salon untergebracht. Zu Rose war nun auch wieder Kathi, Susannas Schwester, gekommen, die Rose im Haus an der Friedrich-Wilhelm-Straße half. Sie kamen gut voran, wie Rose berichtete. Lina konnte schon für den nächsten Tag Möbelpacker engagieren, die das Mobiliar des Barons wieder in das kleine Haus bringen sollten.
Die Kinder machten sich auf den Weg zur Schule, Josef und Karl, die dieselbe Klasse besuchten, waren schon vorausgelaufen. Emil hatte sich bereit erklärt, Carolinchen und Oskar zum Unterricht zu bringen. Lina wollte, dass sie beaufsichtigt wurden.
Als er sie abgeliefert hatte, stand er plötzlich seiner Mutter gegenüber. Er vermutete, dass sie ihn schon seit der Harmoniestraße verfolgt hatte.
«Siehst du, so schnell sehen wir uns wieder!», sagte sie und wollte ihm über das Gesicht streicheln, aber er wich zurück.
«Warum hast du das getan?», rief er empört. «Warum hast du Onkel Georg diesen Brief geschrieben?»
Um ihren Mund spielte ein kleines Lächeln. «So, hat der Brief Ärger gemacht?»
«Ja, alles ist plötzlich anders.» Emil wich noch einen Schritt weiter zurück. «Tante Aaltje ist mit uns zu Tante Lina gezogen, weil Onkel Georg Carolinchen verstoßen will. Und das ist deine Schuld!»
«Oh.» Minas Lächeln wurde noch wenig feiner. «So viel Courage hätte ich Aaltje gar nicht zugetraut. Jedenfalls ist dein Onkel doch jetzt mit anderen Dingen beschäftigt als mit dir und deinem Bruder, nicht wahr?»
«Tu doch nicht so, als hättest du das für Josef und mich getan.»
Mina zog die Brauen hoch. «Aber weshalb hätte ich das sonst tun sollen?»
«Du wolltest Onkel Georg und Tante Aaltje wehtun. Und du stürzt dafür ein kleines, unschuldiges Mädchen ins Unglück.»
«Aber Emil …» Seine plötzliche Feindseligkeit schien ihr zuzusetzen. «Warum denkst du so etwas Schlechtes von mir? Bist du jetzt auch wie alle anderen?»
«Ich bin nicht dumm, Mutter.» Er war sich vollkommen bewusst, dass die Art, wie er «Mutter» gesagt hatte, sie verletzen musste. «Und ich weiß, dass auch du nicht dumm bist. Wenn du solch einen Brief losschickst, dann weißt du sehr genau, was du anrichtest. Und du hast mich benutzt, um den anderen Schaden zuzufügen. Aber diese Rechnung geht nicht auf.»
«Wieso?» Minas zuckersüßer Ton hatte sich in ein wütendes Zischen verwandelt. «Offensichtlich geht sie sehr gut auf. Die brave bürgerliche Familie meines bigotten Bruders liegt in Trümmern.»
«Das mag sein.» Er schwieg kurz, als würde er sich an etwas erinnern. «Ich war so froh, dich wiederzusehen, als du nachRuhrort kamst. Alle hier wollten mir nur Gutes, aber ich war wie ein trotziges kleines Kind, das die ganze Zeit darauf hoffte, dass eine gute Fee in der Gestalt meiner Mutter kommt und mich erlöst. Aber das, was du getan hast, hat mir die Augen geöffnet.»
«Die Augen geöffnet für was?», fragte Mina giftig.
Emil sah ihr direkt in die Augen, so unnachgiebig, dass sie den Blick abwandte. «Kein Sohn erfährt gern, dass seine Mutter ein schlechter Mensch ist, der nur seine eigenen Interessen kennt und Unheil anrichtet, wann immer er kann. Oder leugnest du, dass du Josef und mich in jedem Fall für diesen Maler verlassen hättest? Und dass du es wieder tun wirst, um mit diesem … diesem ekelhaften Mann zu verschwinden? Sieh mich an und sag es mir ins Gesicht!»
«Wie redest du eigentlich mit mir?», zischte Mina, aber mehr brachte sie nicht heraus.
«Du hast deine Söhne endgültig verloren. Ich will dich nie wiedersehen.» Er wollte sich umdrehen und gehen, aber sie hielt ihn zurück.
«Das kannst du nicht tun, Emil. Ich bin doch deine Mutter!»
«Lass mich los, oder ich rufe die Polizei. Du darfst gar nicht in Ruhrort sein.» Er spürte, dass ihm die Tränen in die Augen schossen, doch er versuchte ruhig zu bleiben. Die nächsten Worte seiner Mutter halfen ihm dabei, Haltung zu bewahren.
«Das kann doch nicht sein, dass du wegen dieses kleinen Hurenbalgs nichts mehr von mir wissen willst!»
«Sie mag die Tochter einer Hure sein», sagte Emil wütend, «aber die eigentliche Hure bist du.»
Damit ließ er sie stehen.
Die Suche nach dem glatzköpfigen Österreicher mit dem Schlapphut war vergeblich gewesen. Zwar fanden die Polizistenzwei Pensionen, in denen
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