Das dunkle Universum 3 - Im Sog der Zeit
auf Schritt und Tritt folgen.«
»Ich sagte doch schon, ich hab keine Familie. Falscher Ort, falsche Zeit, tja, immer das Gleiche mit mir.«
»Wieso fürchten sie mich?«
»Von solchen Dingen verstehe ich nichts.«
»Aber wenn Ihr eine Vermutung anstellen müsstet?«
»Diese Reise, die ich von Chelston aus hier herauf unternommen habe, ist für den Kapitän eine ganz geläufige Tour. Er kennt die Route, weiß, wonach er Ausschau halten muss. Er ist sie sein ganzes Leben gesegelt, so wie vor ihm sein Vater und davor dessen Vater und so weiter bis zurück zu jenem Tag, an dem das Schiff vom Himmel gestürzt ist. Diese Route ist es, die seiner Familie Kleidung und Nahrung beschert und ihr ihren bescheidenen Wohlstand erhält; sie ist ihr Leben. Es ist eine Route, die funktioniert. Was glaubt Ihr, wie er sich fühlen würde, wenn eines Tages direkt vor ihm plötzlich ein Riff im Wasser auftauchen und drohen würde, den Kiel seines Schiffs aufzureißen?«
»Ein kluger Kapitän wüsste, wie er das Hindernis umschifft.«
»Sein Schiff ist sehr groß, und äußerst schwer beladen. Es lässt sich nicht so leicht wenden.«
»Das will ich gern glauben, mit Leuten wie Euch an Bord, die es auf Kurs halten. Aber man kann nie wissen. Diese Gewässer auf der anderen Seite des Riffs, vielleicht sind sie eine gut zu befahrende See.«
Der Mann schüttelte den Kopf und seufzte. »Wie konnte jemand, der so naiv ist, es nur so weit bringen in dieser Stadt. Ich bezweifle, dass selbst die Herrin dieses Rätsel zu begreifen vermag.«
»Einige sagen, die Herrin habe mich auserwählt, damit ich der Welt ihre Botschaft ein zweites Mal bringe.«
»Einfach köstlich. Wollt Ihr tatsächlich behaupten, Ihr wärt Rahs Reinkarnation?«
»Nein. Denn wir wissen beide, dass ich es nicht bin.«
»Äh, nun gut, zumindest behauptet Ihr nicht, das göttliche Recht zu besitzen, eine Gesellschaft, die zweitausend Jahre lang funktioniert hat, mal eben so zunichtezumachen. Das ist irgendwie beruhigend, nehme ich an.«
»Ich heirate Kristabel, die ein wichtigerer Teil dieser Stadt ist als ein Dutzend geringerer Familien wie die Eure zusammengenommen. Denkt Ihr wirklich, ich hätte vor, alles, was ihre Familie aufgebaut hat, zu zerstören? Es wird bald auch meine Familie sein.«
»Geringere Familien? Glaubt Ihr, indem Ihr mich zu beleidigen versucht, könntet Ihr mich zu irgendeiner Unachtsamkeit verleiten?«
»Seid Ihr beleidigt? Die wirklich großen Familien werden wohl kaum etwas dagegen haben, wenn in dieser Stadt wieder Recht und Ordnung einkehrt. Aber Ihr, wer seid Ihr denn? Womöglich der fünfte Sohn eines vierten Sohns eines dritten Sohns? Euer Familienzweig wurde wahrscheinlich schon vor langer Zeit aus dem märchenhaften Stammsitz hinausgeworfen. Werft Ihr jedes Mal, wenn Ihr an ihm vorübergeht, neidvolle Blicke darauf? Hört Ihr das fröhliche Lachen, das über seine Mauern dringt? Und jetzt ist Euer Vater was? Irgendein Kaufmann, der zu Größenwahn neigt? Ich wette, er bezahlt nicht mal alle seine Steuern. Ist das die einzige Möglichkeit, wie Ihr in Eurem kleinen Haus weiterhin alle Rechnungen bezahlen könnt? Ist das der Grund, wieso Ihr gerade mal genug Münze besitzt, um Euch so fein wie einer von Kristabels Fußdienern zu kleiden? Seid Ihr darum dieser jämmerlichen Gesellschaft von Schurken und Mördern beigetreten, damit Ihr Euch einreden könnt, Ihr gehörtet wieder zu den Großen Familien?«
»Wahrhaftig, Waterwalker, ich hatte mehr von Euch erwartet. Aber Ihr seid noch sehr jung, nicht wahr? Ich bin nach wie vor überzeugt, dass Ihr das Zeug dazu habt, das bittere Ende der ganzen Geschichte noch mitzuerleben. Denn bitter wird es werden, sehr bitter sogar.«
»Soweit es Euch betrifft, so hat Euch das Ende bereits überholt. Sobald die Verbannung gesetzlich verfügt ist, wird man Euch aus der Stadt hinausbegleiten. Und Ihr werdet nicht zurückkehren. Niemals.«
»Sofern Ihr keinen größeren Zeitblick für Euch in Anspruch nehmen könnt als den unserer geliebten Pythia, könnt Ihr wohl kaum wissen, was uns die Zukunft bringt. Also warte ich einfach hier ab und schaue, wie die Sache ausgeht, danke.«
Edeard neigte seinen Kopf und betrachtete seinen entnervend höflichen Opponenten. Er hätte nicht gedacht, dass es so schwierig werden würde. »Wart Ihr einer der vier auf dem Turm?« Dreimal war Edeard seit seinem Sturz zum Fuß des Turms zurückgekehrt und hatte dort die Erinnerungen der Stadt an jenen Tag durchforstet.
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