Das dunkle Volk: Eishauch: Roman (Knaur TB) (German Edition)
einem Bündnis zusammen. Nun sind wir hier, um die Rechnung zu begleichen, nun sind wir hier, um einander wiederzufinden. Und ich denke nicht daran, ihn noch einmal zu verlieren, hast du das verstanden?«
Seine Augen blitzen auf, und er beugte sich vor. Noch nie hatte ich bei Chatter auch nur einen Anflug von Zorn erlebt – bis jetzt. »Natürlich weiß ich, dass ihr zwei schon damals zusammen wart, denn ich war ebenfalls dabei. In dieser elenden Geschichte steckt nicht nur ihr, sondern auch ich!«
Ich wollte ihn nicht ansehen. Ich wusste sehr gut, wovon er sprach, hatte es mir aber noch nicht einmal selbst eingestanden. Nein, noch wollte ich mich der Wahrheit nicht stellen, noch fühlte sich alles zu wund an. »Ich will nicht darüber reden.«
»Aber einer von uns muss es aussprechen, und du wirst es wohl oder übel akzeptieren müssen! Du warst Mysts Tochter, und du und ich wissen ganz genau, dass sie dich für deinen Verrat vernichten will! Grieve ist ihr Köder – sie will nicht ihn, sondern dich! Wenn du Hals über Kopf in ihr Reich stürmst, um ihn zu holen, dann nimmt sie dich nur gefangen. Deshalb hält sie ihn fest. Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass sie ihn liebt, oder? Myst liebt niemanden.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück.
Ich starrte ihn fassungslos an, und mir war, als würden seine Worte von den Wänden abprallen und auf mich einprasseln. »Nein, ich war Angehörige des Indigo-Hofs, aber ich war nicht Mysts Tochter. Du lügst!« Aber mein Protest war schwach. Er sprach die Wahrheit. Ich wusste es, seit meine Erinnerung vor ungefähr einer Woche zum ersten Mal aufgeblitzt war. Bisher hatte ich mich nicht durchringen können, es zuzugeben. »Ich … ich kann den Gedanken nicht ertragen, Mysts Tochter zu sein. Sie kann nicht meine Mutter sein. Krystal ist … war es …«
Im Handumdrehen war er bei mir, hockte neben mir auf dem Boden und zog mich in die Arme. Ich lehnte mich gegen ihn, schloss die Augen und lauschte seiner gemurmelten Entschuldigung.
»O Cicely, natürlich bist du nicht Mysts Tochter – nicht in diesem Leben. Aber davor schon, davor warst du ihre Tochter und dazu bestimmt, ihren Thron zu übernehmen, wenn sie einmal nicht mehr da sein würde. Aber du hast ihr getrotzt, bist weggelaufen … du hast es gewagt, den Feind zu lieben. Und du musst dich dem stellen, was damals geschehen ist, wenn du sie in diesem Leben besiegen willst.«
»Du warst auch da. Auf welcher Seite standest du?«
»Ich war Shys Bruder. Erinnerst du dich nicht?« Seine Worte trafen mich wie ein Vorschlaghammer, und ich begann zu weinen.
»Nein, nein …« Aber das Zimmer begann auseinanderzufallen, und ich wurde in die Vergangenheit gesogen.
Grieve und ich standen nebeneinander, nur war er Shy und ich Cherish, und zum ersten Mal sah ich mich tatsächlich, wie ich war – als Mysts Tochter. Wir waren zu allem bereit und warteten auf die Vorhut, die den Hang heraufkam, um uns gefangen zu nehmen. Shy wandte sich zu mir und blinzelte, und in seinen langen Wimpern hing der Pollenstaub des hohen Grases, in dem wir gelegen hatten. Wir waren im Land des Sommers, und die Königin jagte uns. Oder vielmehr ihre Diener.
»Halt!« Ein Mann, der Shy sehr ähnlich sah, trat vor die erste Reihe. Er trug einen langen, rasiermesserscharfen und mit Silber beschlagenen Dolch und die Rüstung der Sommerritter. »Im Namen Lainules befehle ich euch anzuhalten. Shy, du kommst zu uns zurück und nimmst deine Bestrafung an. Das Mädchen mag gehen, wenn sie das Land verlässt und nie wieder zurückkehrt.«
Shy warf mir einen Blick zu, und ich spürte, wie nervös er war. »Du kannst überleben. Wenn ich mit ihnen nach Hause gehe, werde ich wegen Hochverrats bestraft. Du aber, Cherish, meine über alles geliebte Cherish, du kannst entkommen.«
Ich starrte ihn an, und mein Puls raste. »Du beliebst zu scherzen. Ich soll dich ihnen überlassen? Dem Tod überlassen? Niemals. Wir kämpfen zusammen, und wenn es sein muss, sterben wir auch zusammen.«
»Aber wenn du kämpfst und verlierst, werden sie dich kreuzigen.« Seine Augen schimmerten feucht, und er sah so verloren aus, dass ich mir einmal mehr wünschte, ihm niemals begegnet zu sein. Es war Liebe auf den ersten Blick gewesen, eine sofortige starke Anziehungskraft, und das tiefe und anhaltende Bedürfnis, mit ihm zusammen zu sein, hatte sich direkt in mein Herz gebrannt. Ihm war es nicht anders ergangen.
»Sollen sie tun, was immer
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