Das dunkle Volk: Eishauch: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Stein,
trenne das Band, das nicht darf sein.
Der Nebel wurde grünlich, und als er in den Kreis waberte, war es wie ein Erdrutsch, der rumpelnd und grollend in einer Wolke aus Schlamm und Steinen über mich kam. Ich versuchte zu atmen, aber es gab keine Luft, nur Gase aus den Tiefen der Erde, nur Staub und rußige Wolken, die sich verdichteten. Als die Energie in mich eindrang, entwurzelte sie Bande und Verbindungen, und ich fühlte mich wie betäubt. Leer und wirklich, wahrlich einsam.
Zum dritten Mal kehrte Anadey an den Ausgangspunkt zurück.
Feuer zu Feuer, Glut zu Glut,
Flammen, verzehret der Liebe Wut.
Blutrot … der Nebel war eine blutrote Wolke, die nach Feuerwerk, Ruß und Herdfeuern roch. Heiß wurde mir, als sie näher kam, und meine Haut kräuselte sich im Knistern von glimmender Kohle. Und das Feuer war gefräßig und verzehrte meine Herzenswünsche, die Liebe, die ich in mir spürte, meine Sehnsucht nach Grieve. Ich fühlte, wie meine Lust auf ihn aus mir heraussickerte, und ich wollte weinen, öffnete den Mund, um zu klagen, doch meine Lippen waren stumm. Es gab keine Worte mehr.
Anadey blieb stehen und blickte auf mich herab. Ich sah flehend zu ihr auf. Mit Tränen in den Augen begann sie ihre letzte Runde.
Luft zu Luft und Wind zu Wind,
zieh dahin, wo die Wolken sind.
Und als der Nebel weiß wurde, spürte ich, wie ich zerfloss, und ein Windstoß trug mich hinauf, und dann – ein plötzliches Aufbäumen und ich war frei, stieg in meiner Eulengestalt auf und segelte einen Moment lang unter der Decke!
»Cicely, komm wieder runter! Du darfst den Bann nicht durchbrechen, nicht so jedenfalls! Lass mich das Ritual beenden, sonst kann es schreckliche Auswirkungen haben.«
Aber ich gab keinen feuchten Dreck auf das, was sie sagte. In meinen Augen war sie der Feind – genau wie Myst. Und schlimmer noch als Lannan.
Und in diesem Moment platzte Peyton herein.
»Cicely! Was ist denn hier los? Mutter, was tust du da?« Sie keuchte auf. »Was soll das alles?«
Doch ich sah nur meine Chance, schoss durch die offene Tür hinaus und schwang mich draußen in den Himmel empor. Ich war frei, und ich wollte nach Hause, aber es blieb die bange Frage, was Anadey mir wohl angetan hatte.
16. Kapitel
I ch flog hinauf in den nächtlichen Himmel und schwang mich höher und höher, während die Schreie von unten immer schwächer wurden. Anadey brüllte mir etwas hinterher, während Peyton ihre Mutter an den Schultern schüttelte. Doch ich würde nie und nimmer hinunterkommen: Ich wollte nicht riskieren, dass Anadey mich erneut in die Finger bekam. Erschüttert und noch immer benebelt von der Droge und dem Zauber, schlug ich die Richtung ein, in der ich mein Zuhause vermutete. Die Angst, mich auf halber Strecke zurückzuverwandeln und zu Boden zu stürzen, trieb mich an.
Doch während ich über die Straßen flog, klärte sich mein Kopf, und ganz plötzlich hörte ich Ulean. Sie jagte im Luftstrom neben mir her.
Cicely? Cicely! Kannst du mich hören?
Ulean, o Ulean! Hilf mir. Ich bin vollkommen durcheinander und weiß nicht genau, wohin ich unterwegs bin.
Flieg weiter in die Richtung. Ich hole dir Hilfe!
Und dann spürte ich ihre Gegenwart nicht mehr. So gut es ging, konzentrierte ich mich auf die Strömung, die mich in der Luft hielt. Die Nacht war eiskalt, aber es schneite ausnahmsweise nicht, und dann riss die Wolkendecke auf, um den Mond durchzulassen. Was sollte ich tun? Sie hätte mich umbringen können. Sie hätte mich und Grieve umbringen können, wenn sie den Zauber vollendet, das Ritual bis zu Ende durchgeführt hätte. Aber wie viel Schaden hatte sie bereits angerichtet?
Und dann traf es mich wie mit dem Vorschlaghammer. Ich dachte an Grieve, ohne dass mein Herz einen Schlag aussetzte. Ich dachte an die Liebe meines Lebens und fühlte … nichts. Ich versuchte, meinen Wolf anzurufen, doch in meiner Eulengestalt konnte ich keinen Kontakt zu ihm aufnehmen. Durch und durch besiegt und verängstigt, wie ich war, blieb mir nichts anderes zu tun, als weiterzufliegen.
In diesem Moment kam eine andere Eule hinter mir herangeflogen. Der Uhu! Ulean ließ sich im Windschatten neben ihm herziehen.
Hilf mir – etwas ist mit mir geschehen, aber ich weiß nicht, was.
Komm mit mir. Seine Gedanken erreichten mich klar und deutlich, und er wendete und steuerte auf den Dovetail Lake zu. Ich machte ebenfalls auf einer Schwinge kehrt und folgte ihm. Es tat so gut, keine Entscheidungen mehr treffen zu
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