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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Kundschafterwölfe zusammengefasst hatte.
    »Wir werden das Rudel rings um den Felsen verteilen. Talinka und ich begleiten dich bis auf halbe Höhe. Du hast also nichts zu befürchten.«
    Jonas unterdrückte seine Angst und nickte entschlossen. »Vielen Dank, Minuq. Du, deine Mutter und die anderen Wölfe haben mehr für mich getan, als ich jemals zu hoffen wagte.«
    »Jetzt sprich nicht so, als wollest du Abschied von uns nehmen. Wenn du erst Keldins Spiegel gefunden hast, dann steht uns noch ein drei- oder viertägiger Marsch durch die Ebenen bevor. Und nun komm, wir sollten meine Mutter nicht warten lassen. Sie ist schon zum Fuß des Felsens vorausgeeilt.«
    Talinka blickte auf das Tal hinab wie das überlebensgroße Standbild eines Wolfes. Während Jonas und Minuq sich ihr näherten, bewegte sie sich kein einziges Mal.
    »Bist du bereit?«, empfing sie den Wanderer.
    Jonas setzte sich auf Trojans Rücken zurecht und straffte die Schultern. »Ich bin bereit.«
    »Dann komm.«
    Talinka wandte sich um und übernahm die Führung beim Aufstieg. Trotz ihres hohen Alters übersprang sie leichtfüßig jedes Hindernis, sodass selbst Trojan Mühe hatte ihr zu folgen. Minuq bildete das Ende des Gespanns.
    Auf dem Weg nach oben wurde nicht viel geredet. Nur hin und wieder machte Talinka auf einige lose Steine oder vorspringende Felsen aufmerksam. Ein Ortsunkundiger hätte den Pfad zu Keldins Burg sicher nicht gefunden. Hier und da gab es Absätze und Grate, die in Jonas’ Augen ebenso gut als Weg hätten dienen können, aber die graue Wölfin zögerte nie, wenn es darum ging, sich für eine der gebotenen Möglichkeiten zu entscheiden. Nach etwas weniger als einer Stunde blieb sie stehen und drehte sich um.
    »Von hier ab musst du allein weitergehen, Jonas.«
    »Könnt ihr wirklich nicht noch ein Stück mitkommen?«
    »Vor Urzeiten hat an diesem Ort ein gewaltiges Wesen gehaust, dessen Macht jedes Tier das Fürchten lehrte. Es heißt, dieses Wesen hätte das Loch in den Berg getrieben.«
    Jonas schluckte. Seine Augen waren weit aufgerissen. »Und das sagst du mir erst jetzt?«
    »Nach unseren Legenden schläft dieses Geschöpf am Grunde des Berges tief und fest, und das wird auch bis zu dem Tag so bleiben, da die Wölfe auf den Berg zurückkehren. Verstehst du jetzt, warum du allein gehen musst?«
    Ein Zittern ging durch Jonas’ Körper. Er zog seine Jacke fester um sich, aber das half auch nichts. Er nickte voller Unbehagen. »Ich hoffe nur, dieses Etwas kann zwischen Zwei- und Vierbeinern unterscheiden.«
    Minuq öffnete leicht das Maul, fast als wollte er Jonas angrinsen. »Also wenn du kein Werwolf bist, dann haben wir da wohl nichts zu befürchten.«
    »Ich schlafe bei Vollmond immer wie ein Stein.«
    »Geh nun«, sagte Talinka sanft und dennoch bestimmt.
    Jonas seufzte. Er holte noch einmal tief Luft und erwiderte: »Also dann, bis bald.« Irgendwie traute er sich nicht, diesen würdevollen Wölfen zum Abschied über das Fell zu fahren. Deshalb lächelte er nur unsicher und nickte ihnen zu.
    Trojan bewältigte ohne Problem die zweite Etappe des Aufstiegs allein. Das Schelpin war in den Hängenden Bergen aufgewachsen und erklomm geradezu begeistert einen schmalen, aber nun deutlich erkennbaren Gebirgspfad. Jonas vermied es tunlichst, die kahle Felswand hinabzusehen. Der Blick in die Tiefe war in jeder Hinsicht atemberaubend.
    Als das Schelpin die letzten Schritte zum Gipfel zurücklegte, wurde der Pfad etwas flacher. Langsam tauchte Keldins Burg aus dem grauen Gestein auf. Jonas erinnerte sich an ein Bild, das er einmal von dem sechshundert Jahre alten Dunnottar Castle in Schottland gesehen hatte. Keldins Burg schien vielleicht nicht ganz so verfallen, aber mindestens ebenso kantig zu sein. Was aus der Ferne wie ein Daumen ausgesehen hatte, war ein trutziger runder Turm, dessen Außenmauer an einer Seite eingestürzt war. Mehrere rechteckige Gebäude ragten hinter der zinnenbewehrten Mauer auf, kein einziges von ihnen besaß noch ein Dach.
    Langsam ritt Jonas auf das Burgtor zu. Der Klippenweg war an dieser Stelle nicht mehr als zehn Fuß breit. Heftige Windböen zerrten an seinen Kleidern. Er legte den Kopf in den Nacken und betrachtete den leeren Torbogen, der mit den darüber befindlichen Fenstern der Wachstube wie ein Totenschädel aussah. Nur aus den Augenwinkeln heraus wagte er einmal über den Pfad hinauszublinzeln: Links gähnte ein viertausend Fuß tiefer Abgrund und rechts…
    Ein Schauer lief über Jonas’

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