Das Echo der Flüsterer
als auf den Fotos, die Jonas noch von seinen Eltern besaß. »Als wir selbst vor vierzehn Jahren in den Strudel gerieten, der uns vom Bermudadreieck geradewegs nach Azon führte, wurden auch wir in der Spiegelregion von unseren Begleitern getrennt. Seit damals haben wir die Besatzung der Roly-Poly nicht mehr gesehen. Wir haben wirklich geglaubt, mit dir sei das Gleiche geschehen, mein Sohn.«
»Habt ihr deshalb niemanden mehr empfangen wollen?«, fragte Jonas mitfühlend.
Robert nickte. Für einen Moment trat der alte Kummer auf sein Gesicht. »Es ist schwer zu beschreiben. Wir haben dich immer nur im Spiegel gesehen. Für deine Mutter und mich stellte das eine schwere Prüfung dar. Einerseits waren wir von dir getrennt, aber auf der anderen Seite schienst du uns so nahe. Wir konnten sogar zu dir sprechen…«
»Ihr habt…!«, stieß Jonas mit aufgerissenen Augen hervor. Sein Leben war ein einziges Mosaik gewesen mit vielen Steinchen, die nur er hatte sehen können. Jetzt begann dieses Bild endlich Gestalt anzunehmen. »Als ich am Sonntag, vor genau zwei Wochen, diese Stimme zu hören glaubte – sie war so laut, dass ich davon aufgewacht bin –, habt ihr da nach mir gerufen?«
Sarah sah zu ihrem Mann hinüber und lächelte dann Lischka und Ximon an. »Wir sind wohl etwas zu laut geworden. Ich weiß, dass die Flüsterer so etwas nie tun würden. Aber«, sie hob um Nachsicht bittend die Schultern, »Bob und ich waren so aufgeregt! Seit Jahren hatten wir uns vorgenommen dich zu rufen, wenn du alt genug wärst. Vor zwei Wochen hat unsere Sehnsucht dann die Sorge besiegt.«
»Als ich in dem Sumpf war und es mit einem Mal so still wurde – seid ihr das auch gewesen?«
Robert antwortete mit ernster Miene: »Nein. Wir haben dieses Raunen auch vernommen, obwohl wir nichts verstehen konnten.«
»Ich fürchte, das waren die Malkits, vielleicht sogar Kanthelm selbst«, merkte Lischka an. Sein rundes Gesicht zeigte tiefe, grimmige Falten. »Ximon und ich kennen dieses Raunen, von dem ihr gesprochen habt, sehr gut. Wenn wir in der Höhle der Flüsterer in eine Facette blicken, dann kommt es manchmal vor, dass auch wir es hören können. Der Kristall lässt es nicht zu, dass wir die Worte eines anderen Flüsterers verstehen, aber wir spüren seine Anwesenheit. Wahrscheinlich hat Kanthelm gewusst, dass ihr euren Sohn gerufen habt. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir Bonkas schon die Gesandten des amerikanischen Präsidenten auf den Weg gebracht. Kanthelm muss geahnt haben, dass Jonas in Azon seine Pläne gefährden würde. Er wollte ja die von uns gerufenen Menschen entführen. Mit Keldins Spiegel konnte er zwar die Wirkung eines Echos verfälschen, aber wenn zufällig zur gleichen Zeit ein zweiter Ruf erschallte, dann bestand die Gefahr, dass die Menschen ihm entglitten.«
»Was im Falle Jonas’ und Sams ja auch wirklich geschehen ist«, stellte Bergalf nüchtern fest.
»Dann haben die Malkits womöglich die Alligatorenjäger direkt auf mich zugelenkt!«, hauchte Jonas.
»Davon kannst du ausgehen.« Bergalf nickte.
Robert schüttelte ungläubig den Kopf. »Dann hätten wir unseren eigenen Sohn um ein Haar in eine tödliche Falle gelockt. Ich fasse es nicht! Erinnerst du dich noch an den Flughafen an der Route 997, Jonas?«
»Da, wo ich durch den Zaun gekrochen bin, ja.«
»Hast du dich schon einmal gefragt, warum du das Loch in dem Maschendraht entdeckt hast, obwohl es doch hinter einem dornigen Busch versteckt lag?«
»Das wart auch…?«
Robert nickte. »Sarah und ich haben es dir zugeflüstert. Danach bist du auf das Flugzeug aufmerksam geworden, das dich beinahe in die Arme Kanthelms getragen hätte.«
Jonas atmete tief durch. Das alles musste erst einmal verarbeitet werden. Er lächelte matt. »Hört auf, euch Sorgen über Dinge zu machen, die längst vorüber sind. Ich bin hier, alle Arme und Beine sind noch dran und mein Verstand – na ja, einigermaßen funktioniert der auch noch.«
»Nicht nur einigermaßen. Ich bin stolz auf dich, mein Sohn. Nur wenige hätten den Mut besessen einfach von zu Hause fortzulaufen, um sich auf solch eine Suche zu begeben.«
Jonas zuckte mit den Schultern. »Ich bin nicht sehr oft dafür gelobt worden, dass ich so anders als meine Freunde und Klassenkameraden bin – höchstens von Großvater vielleicht.«
Sarah lächelte verschmitzt. »Ich habe deinen Großeltern oft genug zugeflüstert, wie sie dich erziehen sollen. Vor allem Tom, dessen Wort in deinen Ohren immer ein
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