Das Echo der Flüsterer
verschwinden in ihrem eigenen Körper, um an jedem beliebigen Ort wieder aufzutauchen, genauso wie Keldins Spiegel jeden beliebigen Menschen zeigen kann.«
»Komm, Darina. Lass uns schneller gehen. Nicht, dass dieses Biest sich mit einem Mal direkt über uns materialisiert. Das ist eine zu erdrückende Vorstellung.«
Als Darina und Numin das Höhlensystem verließen, mussten sie feststellen, dass auch im Land der Malkits die Farben an Konsistenz verloren hatten. Vor der Höhle befand sich eine Gruppe hoher Laubbäume, deren Grün schon fast wie Grau wirkte.
»Ich verstehe nicht, wie Kanthelm so etwas machen konnte«, knurrte Numin. »Er muss nur einen Blick vor die eigene Haustür werfen, um zu erkennen, was er angerichtet hat.«
»Bald werden wir mehr wissen.«
Darina lief geradewegs den breiten Weg hinunter, der zwischen den Bäumen hindurchführte. Numin hatte Mühe mit ihr Schritt zu halten. Die Stadt der Malkits lag in einem lang gezogenen Talkessel, den beiden Wanderern blieb sie deshalb die ganze Zeit vor Augen. Aus der Ferne wirkten die Gebäude blass und fad, überhaupt nicht zu vergleichen mit den prachtvollen Bauten Laomars oder den schillernden Juwelenhäusern Kalvars. Darina und Numin schrieben diesen Umstand dem allgemeinen Schwund der Farben zu. Doch als sie näher kamen, erkannten sie den wahren Grund.
»Die Häuser bestehen ja aus gewöhnlichen Steinen!«
»Hier gibt es weder ein Meer noch eine Juwelenschlucht. Sie sind nicht in so einer glücklichen Lage wie die Bonkas oder die Keldinianer«, sagte Darina.
»Aber sie werden doch wohl Farbe haben«, entrüstete sich Numin. »Wenigstens anstreichen könnten sie ihre Häuser.«
»Vermutlich ist das Leben der Malkits nicht so bunt wie das der übrigen Azonbewohner. Wessen Gedanken trübe sind, dessen Kleider sind es meist auch.«
Numin blickte nachdenklich in Darinas Gesicht.
Schon konnten die beiden die ersten Malkits sehen. Darina und Numin aber waren für die anderen noch zu weit entfernt, als dass man ihre »Andersartigkeit« hätte erkennen können: Sie hatten Haare auf dem Kopf. Die Malkits waren ausnahmslos kahl.
Die wuchtigen Gebäude der Stadt rückten nun schnell heran. Aus der Ferne hatten sie wie Bauklötze ausgesehen, die jemand achtlos in die Landschaft geschüttet hatte. Jetzt wurde deutlich, aus welchen Materialien diese Stadt bestand. Grauer Granit, rötlicher Ton, gelber Sandstein, gesprenkelte Findlinge, schwarzgrauer Schiefer und große bleiche Kreideblöcke waren zum Bau dieser Häuser verwendet worden. Auf ihre Art war diese Stadt ebenfalls bunt, nur in sehr viel gedämpfteren Tönen.
Dann wurden Darina und Numin entdeckt. Kleine Kinder spielten auf der Straße, etwa eine halbe Meile von den ersten Häusern entfernt. Als sie die behaarten Wesen näher kommen sahen, begannen sie wie am Spieß zu schreien und rannten verängstigt nach Hause. Es dauerte daraufhin nicht lange, bis sie auch von den ersten erwachsenen Malkits gesichtet wurden. Einige Alte brachten sich mit schleppenden Schritten in Sicherheit. Doch dann kamen die Soldaten.
Numin hatte noch nie derart bewaffnete Wesen gesehen. Darina wusste zwar, was sie erwartete, aber die Erinnerungen, die ihr der Kristall ins Gedächtnis geschrieben hatte, waren längst nicht so martialisch wie die Wirklichkeit. Die Malkits trugen knielange Hemden aus Metallplatten, deren Oberflächen bunt emailliert waren. Darunter schauten die weiten Beine ihrer Pluderhosen hervor. Auf dem Kopf trugen sie Spitzhelme, die großen Zwiebeln glichen. Ihre breiten Gürtel waren mit allerlei Waffen behängt, von Krummdolchen bis zu seltsamen chromblitzenden Röhren.
»Wer beim Kristall seid ihr?«, bellte einer der Soldaten Darina zur Begrüßung an. Er war stämmig wie ein Bär und sah in seiner waffenstarrenden Rüstung sehr bedrohlich aus. Einige Metallplatten auf seiner Brust glänzten golden und silbern – offensichtlich bekleidete er einen hohen Rang und erwartete eine respektvolle Erwiderung.
»Schau uns genau an und sag dir dann selbst, wer wir wohl sind«, antwortete Darina. Obwohl sie so zierlich war, wirkte sie neben dem kräftigen Hauptmann doch sehr Ehrfurcht gebietend.
Aus den Augen des Soldaten sprach zunächst Unsicherheit, dann grenzenloses Staunen. »Malkits Zylinder, unser ältestes Geschichtsdokument, behauptet, das Kleine Volk habe früher einmal Haare auf dem Kopf gehabt. Aber… aber ich dachte immer, das sei nur eine Legende.«
»Wie du siehst, werden Legenden
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