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Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Reich der Bonkas gibt es viele Augen und Ohren, die mir dienen.«
    Belkan sah die Alte aus schmalen Augen an.
    »Am Tor zur Spiegelregion hat Korax für mich gewacht«, fügte Syrda mit geheimnisvollem Lächeln hinzu.
    »Korax?«
    Sie blickte zu dem Raben hinüber, der es sich auf Jonas’ Schulter bequem gemacht hatte, um ja alles mitzubekommen, und konnte sich ein Kichern nur mit Mühe verkneifen. »Der Vogel dort drüben, den ihr für einen Todesengel haltet.«
    »Der Rabe ist dein… Kundschafter?«
    »Ein Wunder, dass er nicht ›Spion‹ gesagt hat«, krächzte Kraark.
    »Er hat dich wahrscheinlich nur falsch eingeschätzt«, beruhigte Jonas den Vogel. »Bei uns Menschen ist das ganz normal, wenn uns etwas fremd erscheint.«
    »Deshalb braucht ihr ja auch die Flüsterer.«
    Syrda hatte die Unterhaltung zwischen Jonas und dem Raben bemerkt. Erstaunt wandte sie sich von dem Oberältesten ab und schlurfte auf Jonas zu. Mit dem Stock deutete sie auf das ungleiche Paar und sagte: »Wenn mich meine alten Ohren nicht trügen, dann habt ihr beiden euch gerade unterhalten!«
    »Ihr Gehör funktioniert noch sehr gut«, erwiderte Jonas.
    Nur Syrda bemerkte, dass der Menschenknabe sie sogleich durchschaut hatte (sie gab sich gerne etwas gebrechlicher, als sie wirklich war). »Du bist tatsächlich derjenige, nach dem ich Ausschau gehalten habe«, flüsterte sie ehrfürchtig. Dann drehte sie sich zu Belkan um und rief, indem sie wieder mit dem Stock auf Jonas zeigte: »Ihn habe ich erwartet. Anfangs ahnte ich nur, dass den Bonkas eine großen Gefahr droht. Ich sandte meine Späher aus, unter anderem auch Korax. Dann erschien die Wissende. Korax wachte über sie, bis das Mädchen gefunden wurde, und ihr habt ihn glatt für einen von den Malkits gesandten Dämon gehalten. Und ich dachte bisher immer, der Aberglauben sei nur eine von den Menschen gepachtete Eigenschaft!« Syrda seufzte betrübt. »Leider konnte die Wissende uns nicht helfen, weil ein tiefer, todesähnlicher Schlaf auf ihr lag, der sie immer noch lähmt. Deshalb schickte ich den Raben wieder zum Tor der Spiegelregion zurück. Ihr wisst, dass der Kristall nichts aus sich selbst hervorbringt. Seine Kinder sind Abbilder der Menschenwelt. Also musste auch das Mädchen eine Spiegelung von jemandem sein, dessen Geist durch großen Schmerz gelähmt wurde. Ich wusste, dass der Kerker dieses Schmerzes nur von einer Person aufgebrochen werden kann, die ihn genau kennt. Nur ein Menschenkind, das dieselben Gefühle empfinden kann – vielleicht sogar empfunden hat –, vermag die Wissende aus ihrem Schlaf zu wecken. Er«, die alte Weise deutete noch einmal mit Nachdruck auf Jonas, ihre Stimme gewann neue Kraft, »er ist dieses Menschenkind. Zum Glück war wenigstens einer unter euch besonnen genug, dies zu bemerken. Nach der Rückkehr des Raben wusste ich zwar, dass der erhoffte Wanderer erschienen war, aber Goldan sagte mir, wo ich ihn finden kann. Deshalb kam ich hierher, und wie mir scheint, keinen Atemzug zu spät. Wahrscheinlich habt ihr nicht einmal die Geschichte des Jungen angehört. Korrigiert mich, wenn ich mich getäuscht haben sollte.«
    Die kleine buckelige Frau sah ernst in die Runde der Ältesten. Die zuvor ablehnenden Blicke der Männer waren betretenen Mienen gewichen.
    »Jetzt hat sie sie«, raunte Kraark Jonas zu. Für die anderen klang die Bemerkung des Raben nur wie das leise Knarren einer Tür.
    Jonas ließ den schwarzen Vogel auf seinen Unterarm klettern und blickte ihn fragend an.
    Kraark wippte mit dem Oberkörper zwei-, dreimal auf und ab. »›Erzähle mir deine Geschichte und ich sage dir, wer du bist.‹ Hast du noch nie dieses Sprichwort gehört?«
    Unmerklich schüttelte Jonas den Kopf.
    »Beim Kleinen Volk ist es Brauch, einen Fremden zunächst seine Geschichte erzählen zu lassen…«
    Jonas erinnerte sich, dass Goldan ihn danach gefragt hatte.
    Jetzt begann er allmählich zu begreifen, dass dies mehr als nur eine leere Redewendung gewesen war. Ehe Kraark seine Erklärung beenden konnte, ergriff wieder Belkan das Wort.
    »Du hast uns auf einige ernste Versäumnisse aufmerksam gemacht, Syrda. Das war schon immer eine deiner größten Stärken.«
    »Vielleicht auch der Grund, weshalb ihr mich nie besonders gemocht habt«, kicherte die Alte.
    »Wie auch immer. Ob nun Mensch oder Angehöriger des Kleinen Volkes – uns allen ist die Kraft der Geschichten gemein. Jonas McKenelley soll Gelegenheit bekommen seine Geschichte zu erzählen, gleich

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